zuerst erschienen in der Sprachrohrausgabe 226 (September bis November 2022)
Wenn ich auf die beiden vorhergehenden Posts und auf die Länge dieses Artikels schaue, dann muss 2022 so einiges losgewesen sein.
Ecclesia evangelica, quo vadis
Bisher habe ich die Frage nach dem Weg der Evangelischen Kirche immer sehr kritisch gestellt und Schwachstellen aufgezeigt, die es in meinen Augen zuhauf gibt. Letztens stieß ich auf einen Abschnitt aus dem 1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth. Das, was der Apostel hier im 14. Kapitel sagt, kann in meinen Augen ein Weg sein, der unsere Evangelisch-lutherische Kirche aus der Krise führen könnte. Es ist die Rückbesinnung auf die Wurzeln christlichen Glaubens.
Gottes Gaben
In Korinth herrschte ein Wettstreit unter den Christen: Wer hat die größten Gaben Gottes empfangen? Oder man könnte auch fragen: Wer ist der Frömmste, wer lebt seinen Glauben authentisch? Paulus zählt auf, welche Gaben Gottes er in der Gemeinde erkennt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann gab er die Kraft, Wunder zu tun, dann Gaben, gesund zu machen, zu helfen, zu leiten und mancherlei Zungenrede." (1 Kor 12,28)
Zungenrede ...
Während Paulus den Akzent offensichtlich auf Apostel, Propheten und Lehrer legt, haben die Korinther ein Faible für die Zungenrede. Was hat es damit auf sich? Im Online-Lexikon Wikipedia findet man folgende Erklärung: "Unter Zungenrede bzw. in Zungen reden [...] oder Sprachengebet versteht man unverständliches Sprechen, insbesondere im Gebet. [...] Die heutige Pfingstbewegung sieht in der Zungenrede eine Gebetsform, die die besondere Unmittelbarkeit des Betens zu Gott betont." (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Zungenrede)
Der Apostel Paulus kann solch einer Hochschätzung nicht folgen. Allerdings verschweigt er auch nicht, dass die Zungenrede eine Gabe des Heiligen Geistes ist. Sie hat dann in den Augen des Apostels folgenden Sinn:
Wer in Zungen redet,
- der redet für Gott
- der redet im Geist von Geheimnissen
- der erbaut sich selbst
Die Zungenrede bedarf des verständigen Übersetzens, was wiederum eine Gabe des Geistes ist. (1 Kor 14,2.4.5)
... oder prophetische Rede?
Der Zungenrede setzt Paulus die prophetische Rede gegenüber und beschreibt auch gleich deren Wirkung. “Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung." (1 Kor 14,3; Fettdruck Krüger)
Das prophetische Amt
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Propheten des Ersten Testaments. Prophet konnte man nicht aus eigenem Antrieb werden, zum Propheten wurde man von Gott berufen, manches Mal auch ausdrücklich gegen den eigenen Willen. “Der Löwe brüllt, wer sollte sich nicht fürchten? Gott der HERR redet, wer sollte nicht Prophet werden?" (Amos 3,8)
Wenn es darum geht, was “prophetische Rede” inhaltlich bedeutet, greife ich sinngemäß auf Formulierungen zurück, die ich bei Wikipedia gefunden habe und die in meinen Augen den Sachverhalt trefflich beschreiben:
Propheten, deren Sprüche gesammelt und später verschriftet wurden, traten etwa ab 750 v. Chr. auf. Sie richteten ihre Botschaften an das ganze Gottesvolk, auch wenn sie Einzelpersonen anreden. Die ersten Propheten hatten fast ausschließlich Unheil zu verkünden, nämlich den unvermeidlichen, von Gott beschlossenen Untergang Israels, das seine Aufgabe als Volk Gottes verleugnet und darum sein Existenzrecht verspielt habe. Später sahen die Propheten aber nach dem Untergang einen völligen Neuanfang Gottes mit seinem Volk heraufziehen. Dabei setzten alle Propheten voraus, dass Israel seine Aufgabe als Volk Gottes kannte, nämlich eine gerechte Gesellschaftsordnung zu schaffen und zu bewahren habe. Diesem Auftrag wird Israel nicht gerecht. Stattdessen erlebten die Propheten Ausbeutung und Enteignung der ehemals freien Landbevölkerung durch Großgrundbesitzer und auch durch den Königshof.
(vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Prophetie#Judentum und https://de.wikipedia.org/wiki/Prophetie_im_Tanach)
Der prophetische Auftrag
Damit sind schon an dieser Stelle die Begriffe genannt, die sich unmittelbar auf die Gegenwart beziehen lassen: eine gerechte Gesellschaftsordnung schaffen und bewahren, nicht aus sich selbst heraus, sondern vor dem Hintergrund des Ersten Gebots oder, wie es das Schma Jisrael" so eindrücklich sagt: „Höre, Israel, (hebräisch: schma jisrael, daher der Name - Anm. Krüger) der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, Deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all Deiner Kraft." (5 Mose 6,4f.)
Ausbeutung und Enteignung menschlicher und natürlicher Ressourcen lassen sich mit dem Glauben an den Gott Israels, den Vater Jesu Christi, nicht vereinbaren. Diese Botschaft zieht sich durch die ganze Bibel.
Man wird jetzt die Propheten der ersten Christengemeinden nicht direkt mit den Propheten des Ersten Testaments gleichsetzen können, aber auch sie haben für ihre Predigt in Anspruch genommen, das Wort Gottes als unbedingten Anspruch gemäß dem Ersten Gebot zu verkünden.
Kennzeichen christlicher Kirchen heute
Mit welchem Anspruch treten die christlichen Kirchen heute auf? Kritisch merke ich an, dass es in jeder kirchlichen Verlautbarung zwar heißt, das Evangelium werde gepredigt, aber das wichtigste Argument scheint dennoch vorrangig das Geld zu sein. “Wer soll, wer kann das bezahlen?" Unter vielen Beschlussvorlagen des Kirchenkreistags, der neuerdings “Kirchenkreissynode" heißt, findet sich die Notiz: “Finanzielle Auswirkungen...", aber es wird nicht gefragt und diskutiert, welche Auswirkungen solche Beschlüsse auf die Gemeinde Jesu Christi haben, auf die christliche Gemeinde vor Ort.
Zungenrede verwirrt
Zurück zu dem, was im Korintherbrief steht. “Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; [... ] Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?" (1 Kor 14,4.23)
Kirchliche Gemeindeaufbauprogramme
Wir reden nun nicht in Zungen wie die Korinther, sodass damit Außenstehende verwirrt und abgeschreckt würden, aber der Grundtenor insbesondere der evangelischen Kirche hier im Westen ist vielstimmig. Er könnte vielleicht harmonischer klingen, wenn es nicht wetteifernd darum ginge, das eigene Konzept als das Non plus Ultra herauszustellen und immer wieder eine neue Idee hinauszuposaunen.
Ich nenne nur ein paar Aspekte aus dem deutschsprachigen Raum, die mir im Lauf meines Berufslebens schon untergekommen sind, die den gegenwärtigen Mitgliederschwund aber auch nicht aufhalten konnten:
- missionarischer Gemeindeaufbau, projektorientierter Gemeindeaufbau,
- früher orientierte man sich am Gemeinwesen, heute am Sozialraum,
- Alpha-Kurse, Hauskreise wurden gefordert,
- dann kam die Kirche der Freiheit" mit ihren Leuchttürmen und die Parole wurde ausgegeben: “Wachsen gegen den Trend" … Das Einzige, was gewachsen ist, sind die Austrittszahlen.
- 2020 legte die EKD das Papier vor “Kirche auf gutem Grund …” aus den “Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche", an denen das hochrangig besetzte Z-Team jahrelang gearbeitet hatte - Z steht hier für Zukunft -, aus diesen elf Sätzen wurden in kürzester Zeit “Zwölf Leitsätze".
- Da in Corona-Zeiten manche Taufe verschoben wurde, sollen Familien aktiv angesprochen und niedrigschwellige Angebote - was auch immer das heißt - für Kinder und Erwachsene gemacht werden. Es sollen möglichst viele Menschen getauft werden, damit die Mitgliederzahlen stabil bleiben.
- Die Hannoversche Landeskirche versucht, dem Mitgliederschwund besonders effektiv mit zwei Programmen zu begegnen -
- das eine entwickelt die Zukunft prozessgemäß (demgemäß heißt es „Zukunftsprozess"),
- das andere "schiebt die Welle" (es heißt tatsächlich "Die Welle").
Ob Außenstehende - und Insider - immer erkennen, dass hier das Evangelium verkündigt werden soll, das wage ich zu bezweifeln. Die Redakteurin Stefanie Witte (NOZ) besuchte in Osnabrück eine Gesprächsrunde über die Zukunft der Evangelisch-lutherischen Kirche und berichtete in der Meppener Tagespost Anfang August von ihrer Teilnahme. Ihr Fazit war vernichtend: "Nach der Veranstaltung hatte ich nicht das Gefühl, dass die Protestanten [...] ihrem Ziel, nämlich am Bild einer Kirche der Zukunft zu arbeiten, näher gekommen sind." (Meppener Tagespost 04.08.2022, Seite 2)
Prophetische Rede wird argumentativ
"Wer prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde", so erklärt es Paulus im Brief an die Korinther. Wenn [...] alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist." (1 Kor 14,4.24 f.; Fettdruck Krüger)
Paulus beschreibt hier noch einmal die Kraft der prophetischen Rede. Sie dient, wie oben verdeutlicht, der Erbauung und Ermahnung und Tröstung. Jetzt kommt noch hinzu: Das prophetische Wort prüft und überführt und legt Fehlentwicklungen offen - so, wie es die Propheten des Ersten Testament machten. Sie klagten religiöse, aber auch soziale und wirtschaftliche Missstände im Namen Gottes an.
Das ist sicherlich für manchen ein schmerzlicher Prozess, aber Paulus ist überzeugt davon, dass das mahnende prophetische Wort die Gemeinde erbaut und tröstet. Denn genau dieses Wort zeigt uns das Fundament unseres Glaubens, unseres Lebens: Jesus Christus, Gottes fleischgewordenes Wort! “Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Christus Jesus!" (1 Kor 3,11)
Somit ist christlicher Glaube auch argumentativ. Er begründet seine Position allerdings nicht von der fiskalischen oder politischen Seite her, vielmehr bleibt Gottes Wort, bezeugt in der Heiligen Schrift, Grundlage aller Äußerungen.
Biblisch begründete Positionen überlässt die Kirche Randgruppen
Dieses prophetische Reden vermisse ich in unserer liberalen Kirche. Biblische Begründungen für eine kirchliche Stellungnahme höre ich selten. Ich habe wohl wahrgenommen, dass kirchliche Würdenträger - natürlich - den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilen, aber oft reihen sich diese Stellungnahmen in das ein, was politisch auch schon gesagt wurde. Vermisst habe ich in den vergangenen zwei Jahren theologische Beiträge zur Corona-Situation, obwohl es die zuhauf gegeben haben soll. Offensichtlich kamen sie in der Öffentlichkeit nicht an. Die Stimme der Kirche ist eine unter vielen geworden. Die Kirche kann und vielleicht will sie auch keine Exklusivität beanspruchen.
Biblisch begründete Positionen überlassen wir oft Sekten, Fundamentalisten und Evangelikalen - hier tatsächlich im negativen Wortsinn gebraucht. Welche Auswüchse dies nach sich ziehen kann, erleben wir in der Abtreibungsdebatte in Amerika, ebenso in der Kriegspropaganda des Moskauer Patriarchen. Bedenkenlos und schamlos wird Gottes Wort für die eigenen Zwecke missbraucht. Kritiker des christlichen Glaubens sehen sich bestätigt und verurteilen unsere Religion in Bausch und Bogen.
Wer prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde...
... so sagt es Paulus, durch Tröstung und Ermahnung, wie wir es zuerst gehört haben. Hinzu kommt, dass das prophetische Wort prüft, ggf. auch überführt und offenlegt, wo etwas im Argen liegt. Die so Angesprochenen werden nicht immer auf ihr Angesicht fallen und Gott anbeten, wie es Paulus im Brief an die Korinther schreibt, aber sie werden erkennen, dass Gott unter uns ist.
Despoten wie Wladimir Putin wird man mit diesem Ansatz nicht beeindrucken können. Aber dass mit solch einem Konzept Menschen guten Willens erreicht werden, dass die Kirchen wieder Strahlkraft entwickeln können, dass auf diesem Fundament Ideen entstehen, mit denen man dann die Welt und die Kirche neu gestalten kann, davon bin ich überzeugt. “Bemüht Euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!" (1 Kor 14,1)
1 Kor 14,1-6.23.24 Strebt nach der Liebe
(1) Bemüht Euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! (2) Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. (3) Wer aber prophetisch redet, der redet den Men- schen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
(4) Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. (5) Ich wollte, dass Ihr alle in Zungen reden könntet; aber noch viel mehr, dass Ihr prophetisch reden könntet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, damit die Gemeinde dadurch erbaut werde.
(6) Nun aber, liebe Schwestern und Brüder, [...] (23) wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, Ihr seid von Sinnen?
(24) Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; (25) was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter Euch ist.
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In der Sprachrohrausgabe 226 kam auch Petra Heidemann, Prädikantin in der Gustav-Adolf-Kirchengemeinde, zu Wort. Sie nahm den bereits erwähnten Artikel von Stefanie Witte auf und kommentierte ihn.
Die beiden von ihr verfassten Gedichte sind hier mit ihrer freundlichen Genehmigung wiedergegeben.
"Warum der evangelischen Kirche Nachwuchs fehlt - und was sie dagegen tut"
So lautete die Überschrift eines Beitrags von Stefanie Witte in der Meppener Tagespost online am 05.08.2022
Um nicht nur nachvollziehen, sondern auch herausfinden zu können, wie kirchliche Institutionen mit Veränderungen umgehen, wie diese Mitglieder halten und gewinnen wollen, wie sie sich die Zukunft ihrer Kirche vorstellen, begab sich die Kolumnistin Stefanie Witte zu einem diesbezüglichen Treffen von rund 200 evangelischen Kirchenangestellten, also Pfarrern, Kirchenmusikern und Diakonen in Osnabrück.
Dort nahm sie an einer sog. "Open Space"-Veranstaltung teil, eine Methode, die sie nach dieser Erfahrung so charakterisiert: "Wenn man keine Lust mehr hat, in einem Stuhlkreis zu diskutieren, darf man gehen, Kaffee trinken und Kuchen essen. Dann ist man aber per definitionem genauso wertvoll wie die Leute, die sitzen bleiben, weil sich ja auch beim Kuchenessen kreative Ideen ergeben können."
Witte entschied sich zunächst für den Stuhlkreis "Nachwuchs finden", weil ihr dieser lebensbezogener erschien als so manch anderes der zwölf Angebote, z.B. "doppelt strategisch missionieren", "Verkündigung ohne Worte" oder "Kasualagentur". Allerdings schildert sie ihren Eindruck, hier tage "eher eine Arbeitnehmer-Selbsthilfegruppe als ein Kreis, der Nachwuchs finden möchte", denn das Gespräch sei bestimmt gewesen von Personalproblematik, wie Aufstiegschancen, Halbtagsstellen, unbezahlte Überstunden und Heranschaffen von digitalem Dienstequipment. Die Nachwuchsfrage sei nur dann in den Blickpunkt gerückt, als ein Pastor von einer Beerdigung berichtet habe, bei der ein Schüler gar nicht gewusst habe, was ein Pastor sei.
In einem weiteren besuchten Arbeitskreis sei es um "queere Themen gegangen, konkret über queersensible Konfi-Arbeit", hier habe man sich an der Frage des Umgangs mit einem homophoben Pastor festgebissen und daran, was kirchenrechtlich zu denken erlaubt sei.
Witte bezweifelt, dass dies Kernfragen seien, wenn es um die Zukunft der Kirche gehe. Jugendliche, die nicht wüssten, was ein Pastor sei, seien ein Alarmzeichen. Witte kann in dieser Tagung keinen Schritt vorwärts in Richtung Zukunftsbild sehen. Es gebe zwar eine Vielzahl von Gremien in der EKD, viele Gesprächskreise, Zukunftswerkstätten, Überlegungen, Pläne, allerdings sei ihr auch zu Ohren gekommen, dass viele Pfarrer "an solchen Prozessen bewusst schon gar nicht mehr teilnähmen, weil sich sowieso immer dieselben Kollegen mit denselben Botschaften hervortäten".
Witte resümiert, dass die Erkenntnisse dieser Veranstaltung nicht “sonderlich vielversprechend" seien, und konstatiert: "Eine Kirche, die sich gedanklich darauf einstellt, künftig als Dienstleister nur noch für die zwei, drei wesentlichen Anlässe im Leben buchbar zu sein - das erscheint mir nicht als tragfähiges Zukunftsszenario."
Zusammenfassung: Petra Heidemann
Quelle: Meppener Tagespost online vom 05.08.2022
Kontrastprogramm
aufgeschlossener sein
und die Nachbarschaft pflegen, sagte sie,
warf einen Blick nach draußen und ließ die Jalousie herunter.
Man sollteviel natürlicher leben, sagte erund achtete darauf,beim Jäten kein Un-Kraut zu übersehen.
Man solltezeitiger schlafen gehen, schrieb ichnachts um halb zwei auf meinen Notizblock.
Man sollteeinfach netter sein;dabei war ichsogar auf mich selbst sauer.
Man solltesich bescheiden lernen,sagtest Duund kauftest dabei die Großpackung als Super-Sonderangebot.
Man sollte,jeder wollte,wenn er könnte -oder könnte,wenn er wollte ?
Aberdann müsstenwiretwas tungegen unserechronische Konjunktivitis.
Petra Heidemann
Beschämend und aufrüttelnd
Kommentar zum Artikel der Meppener Tagespost
Das Thema "Beständig schwindende Zahl der Kirchenmitglieder", egal welcher Konfession, geistert inzwischen immer lauter durch die Medien, genau wie die Skandale kirchlicher Institutionen. Und wie bei so vielen an sich zum Himmel schreienden Zuständen und Bedrohungen und Entwicklungen in unserem Umfeld wie in unserer Welt - je häufiger davon die Rede ist, desto weniger hört man noch hin, man überhört die Meldungen, weil man sich diese inzwischen übergehört hat, zuckt die Achseln, da "man selbst ja doch nichts ändern" könne, gewöhnt sich allmählich daran.
Als ich nun aber über die Zeitungskolumne von Stefanie Witte stolperte, verschlug es mir erst einmal die Sprache - wer mich kennt, nicht für lange. Denn dieser Artikel schreit geradezu nach Kommentar, schreit vor allem nach Konsequenzen, und zwar nicht irgendwann, sondern schnellstmöglich. Witte legt genau den Finger in die Wunde und bringt ans Tages(post)licht, was da wenig effektiv in wohlklingenden Formulierungen "gelayoutet" vor sich hin schwelt, obwohl es längst lichterloh brennt.
Gebraucht wird nicht ein systemimmanentes pseudoaktives Herumbasteln an Scheinaktivitäten als uneffektive Politur, nicht die Beschäftigung mit Interna, mit dem institutionellen Selbst. Wer Menschen für sich gewinnen will, muss zu den Menschen gehen. So haben es übrigens die Propheten gehandhabt, so hat es Jesus unablässig gehandhabt, so haben es die Apostel unbeirrt gehandhabt. Und genau da gilt es, sich einzureihen.
Vor Ort bei den Menschen ist zu eruieren und anzusetzen, hier kann sich Kirche gespiegelt wahrnehmen, nicht im Burgturm einer verwalterischen, juristischen, finanzbestimmten Institution. Es braucht vielmehr einer flächendeckenden, die Menschen direkt ansprechenden Kontaktsuche. Politischer Wahlkampf macht es uns vor - Info-Stände und Befragungen dort, wo sich Menschen im öffentlichen Raum bewegen, motivierende Fragebögen an alle Haushalte mit der herzlichen Bitte um Rücklauf, da man nur dann für die Basis etwas verändern könne, wenn man der Basis zuhöre.
Und so wird Kirche erfahren, warum Menschen austreten oder gar nicht erst eintreten, welche Rolle Kirche im Alltag des Einzelnen spielt, wo die Enttäuschungen liegen, wo auf kirchliche Angebote eingegangen wird, wo man Kirche zu schätzen weiß, was man von Kirche überhaupt weiß, was man von Kirche erhofft und erwartet.
Kirche ist nur da Kirche, lebt nur da ihren Auftrag, wo sie “in persona" Kirche vor Ort ist, also ganz bei den Menschen - als Partner wahrnehmbar, spürbar, (be)greifbar, verlässlich, lebendig, aktuell. Nur dann ist sie glaubwürdig, nur dann hat sie ein tragfähiges Lebenskonzept zu bieten. Nur wenn sie sich hinterfragen lässt, wird sie auch wieder gefragt sein.
Kirche als Gesamtheit der Christen ist ein erhabener Begriff, aber abstrakt. Kirche vor Ort muss konkret sein, zum Anfassen.
Petra Heidemann
Lebendige Kirche
Kirche als Institution ist notwendig, aber abstrakt. Kirche als Gesamtheit der Christen ist ein erhabener Begriff, aber abstrakt. Kirche vor Ort muss konkret sein, zum Anfassen.
Kirche braucht also ein Bild, ein Profil, um gesehen zu werden, um Partner zu sein, um im Jetzt und Hier wahrnehmbar zu sein. Mit einem Baum als Bild ließe sich für das Wesen und den Auftrag der Kirche in allen drei Dimensionen etwas anfangen.
Die Kirche als sturmerprobter Baum wurzelt fest im Alten Testament, ist bis heute Stimme der Propheten, die sich einmischen, in das, was da auch heute geschieht oder eben nicht geschieht. Daran muss Kirche sich messen.
Aus dieser Wurzel Jesse spross in Jesus der Stamm hervor, geradlinig nach oben weisend, der Träger alles Weiteren, im biblischen Bild der Weinstock. Jesus hat für einen Augenblick der Weltgeschichte exemplarisch vorgelebt, was ein Mensch sein sollte, als was ihn die Schöpfung gedacht hat. Er war ganz bei den Menschen, konkret, greifbar, angreifbar, stark und verletzlich, aber unumstößlich wie der Stamm des Kreuzes.
Aus dem Stamm entwickeln sich Geäst und Gezweig. Die Jünger, die Apostel, die Gemeinden nahmen ihre Aufgabe an, selbst unter lebensbedrohlichen Umständen. Und das Christentum blühte auf und trug Früchte und streute Samen.
An uns allen als Kirche ist es nun, dieses Bild zu verinnerlichen und dafür zu sorgen, dass die Saat aufgeht an jeder noch so kleinen Stelle.
An der Institution Kirche ist es, sich Wurzel, Stamm und Krone zu eigen und nach außen lebendig werden zu lassen, Altes und Neues Testament konkret werden zu lassen und darauf basierend ihren, Jesu Auftrag in unserem Alltag zu erfüllen.
Denn Jesu Glauben gründet sich im Alten Testament, sein Wirken konkretisiert dieses, und die, die ihm folgen, sollen ihn in die Welt tragen. Anders gesagt, so wie Wurzel, Stamm und Krone ein Ganzes sind, so Gott, Jesus Christus und Heiliger Geist. Das sei Anliegen der Kirche in allen Dimensionen.
Petra Heidemann
Quelle: Petra Heidemann, Zwischen-durch-Gedanken, Meppen 1983
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