Donnerstag, 26. Januar 2017

Lutherische Kirche im Jahr des Reformationsjubiläums 2017

Die nachfolgenden Zeilen verfasste ich für die Ausgabe Dezember 2016 bis Februar 2017 unseres Gemeindebriefes Sprachrohr. Den zitierten Text von Andreas Dreyer, Vorsitzender des Hannoverschen Pfarrvereins, "Wie sich die hannoversche Landeskirche von ihren Kirchengemeinden distanzierte" (1) fand ich ausgesprochen lesenswert. Er enthält so viel Zündstoff, dass er in der nächsten Gemeindebriefausgabe - und auch an dieser Stelle - eine Fortsetzung erfahren wird.

Lutherische Kirche im Jahr des Reformationsjubiläums 2017

Welche Kirche Martin Luther vor Augen hatte, als er 1517 mit seinen Thesen gegen die Ablasspraxis der damaligen röm.-kath. Kirche aufbegehrte, das wurde 1530 beim Augsburger Reichstag im ersten evangelischen Bekenntnis so festgehalten:

Es wird … gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muß, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. ... (Artikel 7: Von der Kirche)

Wenn man im aktuellen Hannoverschen Pfarrvereinsblatt den Artikel des Vorsitzenden Andreas Dreyer liest, dann kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass in den letzten Jahren etwas aus dem Ruder gelaufen ist.

Wie sich die hannoversche Landeskirche von ihren Kirchengemeinden distanzierte

Diese Überschrift gibt Andreas Dreyer seinem Aufsatz, zuerst erschienen im Buch “Kirche der Reformation? Erfahrungen mit dem Reformprozess und die Notwendigkeit der Umkehr” (2).
Dreyer setzt mit dem Aktenstück 98 der 23. Landessynode aus dem Jahr 2005 ein, mit dem alles seinen Anfang nahm. Zu Beginn des neuen Jahrtausends musste die Landeskirche finanzielle Einbußen verkraften, in deren Folge ein Sparkurs eingeschlagen wurde, der bis heute Auswirkungen zeitigt.

Organisationswerdung der Landeskirche

Zusammen mit dem Sparprogramm griffen “tiefgreifenden systemischen Strukturveränderungen zum Nachteil der Gemeinden und der Pfarrerschaft”, so Dreyer. Nach Ansicht des Theologen behielt die lutherische Kirche “nicht mehr ihre zuvor diskursive, basisnahe ‚Bottom-up'-Struktur”, vielmehr passte sie sich “unter dem Leitwort der ‚Organisationswerdung' dem ökonomischen Paradigma” an. Die Kirchenkreise wurden zu “Planungseinheiten”, die fast alles regeln, während die Kirchengemeinden, “einst nahezu gleichberechtigten selbstständigen Körperschaften innerhalb des kirchlichen Verfassungsaufbaus zu untergeordneten abhängigen Teileinheiten” herabgestuft wurden.

Beschrieb das Augsburger Bekenntnis die Kirche Jesu Christi als die “Versammlung aller Gläubigen ..., bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden”, so legt man heute andere Maßstäbe an. Dreyer zitiert aus dem Aktenstück 98 der 23. Landessynode (4): “Jede kirchliche Aufgabe ist mit der radikalen Frage zu konfrontieren, was der Landeskirche fehlen würde, wenn es sie nicht mehr gäbe.” Wer die Organisation der Landeskirche derart zum Maßstab erhebt, der geht wohl zwangsläufig davon aus, dass “eine gemäß Topdown-Logik konstruierte Kirchenorganisation … die Erwartungen und Bedürfnisse der Gemeindeglieder gut erfüllen” könne . Demgegenüber haben “die EKD-Mitgliedschaftsuntersuchungen immer wieder exakt das Gegenteil zutage befördert, nämlich den nachdrücklichen Wunsch der Basis, gerade die Ortsgemeinden zu stärken und sie personell und finanziell angemessen auszustatten”.

Bilanz - ernüchternd!

Die Bilanz, die Dreyer zieht, fällt ernüchternd aus: “Die Zielvorstellung, neben den finanziellen Einsparungen durch die Strukturveränderungen den versprochenen Aufbruch oder gar eine Trendumkehr im Sinne des erhofften ‚Wachsens gegen den Trend' herbeizuführen, werden klar verfehlt. … Der massive Pfarrstellenabbau hat das Vertrauen der Pfarrerschaft in den Dienstherrn beeinträchtigt …” Die zu beobachtende “Wanderungsbewegungen der Pfarrerschaft in Richtung Funktionspfarrstelle oder in Landeskirchen, die bessere Rahmenbedingungen bieten” hat hier sicherlich eine Ursache. Und schließlich hält Dreyer fest: “Der Kirchenbesuch bzw. die Kasualien konnten ebenfalls nicht erkennbar gesteigert werden.”

Umkehr ist angesagt

Ein Auszug aus der Rezension im Pfarrvereinsblatt zum eingangs erwähnten Buch “Kirche der Reformation?” von Mechels und Kittel soll hier den Abschluss bilden: “Im gegenwärtig betriebenen “Reformprozess” wird eine andere Kirche Zug um Zug und leider auch unter Druck und Zwang durchgesetzt: Eine zentralistisch organisierte Behördenkirche, in der die Gemeinden und ihre Vorstände entmündigt, haupt- und ehrenamtlich arbeitende Gemeindeglieder verdrängt, Pfarrpersonen zu Dienstleistenden degradiert werden und die Arbeit mit den Menschen an der Basis durch rigorose Sparmaßnahmen spürbaren Schaden leidet. Umkehr ist angesagt.”

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1 Hannoversches Pfarrvereinsblatt 4’16 Winter 2016 121. Jahrgang S. 7-17 
2 Kirche der Reformation? Erfahrungen mit dem Reformprozess und die Notwendigkeit der Umkehr, Hrsg. Prof. Eberhard Mechels und Prof. Gisela Kittel
3 https://www.landeskirche-hannovers.de/damfiles/default/evlka/wir-ueber-uns/landessynode/synoden-archiv/neunte-tagung-23-landessynode/berichte/downloads/Nr_98Endfassung-383da6ee5a943b69fd89b2fbc8bd1563.pdf
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