Donnerstag, 15. Dezember 2016

Jesus Christus - Gottes Antwort auf die Erbsünde

Seit November 2016 bringt die Neue Osnabrücker Zeitung im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum 2017 wöchentlich einen ganzseitigen Beitrag zu kirchlichen Themen. Am 5. Dezember 2016 wurde unter der reißerischen Überschrift "Kritik an der Ajatolloh-Kirche" ein "Interview" mit Heiner Geißler abgedruckt, wo der Politiker seine Sicht auf das Reformationsjahr vortragen konnte.

Online findet man den Artikel hier: http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/814172/geissler-kirchen-koennen-nur-gemeinsam-elend-auf-der-welt-mindern Bezeichnender Weise wurde die Überschrift der Printausgabe geändert. So heißt es im Internet "POLITIKER FORDERT ENDE DER SPALTUNG - Geißler: Kirchen können nur gemeinsam Elend auf der Welt mindern". Hätte der Politiker diesen berechtigten Gedanken aus seiner Sicht weiter entwickelt, so hätte man ihm vielleicht folgen können.

Geißler aber holte zum Schlag aus und warf den beiden großen Volkskirchen "Häresie" vor. Dabei verstieg er sich zu der Forderung, die Kirchen hätten die Rechtfertigungslehre zu revidieren, weil diese keine biblische Begründung hätte. Das, was Geißler dann als Begründung seiner Ansichten anführte, entbehrte jeder Grundlage und Kenntnis der biblischen Geschichten und der theologischen Auslegung.

Mit der nachfolgenden Einleitung schrieb ich am gleichen Tag noch einen zweiseitigen "Leserbrief" an die Neue Osnabrücker Zeitung.

Sehr geehrte Damen und Herren, 

dem Artikel "Kritik an der Ajatollah-Kirche" in der heutigen Ausgabe der Meppener Tagespost (S. 5), in dem Heiner Geißler seine Ansichten zu kirchlichen Themen vortragen konnte, muss widersprochen werden. Heiner Geißler hat keinerlei Kompetenzen über die kirchliche Lehre von Sünde und Vergebung und über die Rechtfertigungslehre sich zu äußern. Sie finden meine Kritik im Anhang. Es war mir nicht möglich, sie kürzer zu fassen. Aber immerhin haben Sie Geißler für seine Meinungsäußerungen ja auch eine ganze Seite mit großer Überschrift eingeräumt. 

Mit freundlichen Grüßen, Ralf Krüger, P.

Meinen Gedanken hatte ich als Replik auf die Überschrift in der Zeitung den Titel gegeben:

Antwort aus der Kirche Jesu Christi

Unter der Überschrift “Kritik an der Ajatollah-Kirche” durfte der Politiker Heiner Geißler in der äußeren Form eines Interviews seine Vorstellungen zum Reformationsjubiläum vortragen. Den Äußerungen des Politikers, den ich sonst gerade wegen seiner unbequemen Art sehr schätze, muss energisch widersprochen werden. Er bezichtigt die evangelische und die katholische Kirche der “Häresie, der Ketzerei” und meint, die Rechtfertigungslehre sei biblisch nicht begründbar und die Erbsünde naturwidrig. Diese Aussagen sind absurd und zeugen davon, dass Heiner Geißler hier über keinerlei Kenntnisse und Kompetenzen verfügt.

Erbsünde: Ja, sie gibt es - nein, sie hat nichts dem Geschlechtsverkehr oder mit Sex zu tun - und Adam und Eva als Ur-Elternpaar der Menschheit ... Was meint Heiner Geißler eigentlich, was in den Kirchen heute gelehrt wird? Für die lutherische Kirche kann ich sagen: Diese Vorstellung ganz bestimmt nicht!

Bei Adam und Eva beginnen ...

Nichtsdestotrotz müssen wir “bei Adam und Eva anfangen”, um am Schluss auch auf die Rechtfertigungslehre sprechen zu kommen. Diese beiden biblischen Figuren sind eben nicht biologischen “Ur-Eltern”, sondern sie bilden die “typischen Menschen” ab, wie der Mensch sich typischerweise verhält. Mit dem Garten Eden gibt Gott den Menschen einen Lebensraum, den sie bebauen und bewahren sollen, aber auch nutzen dürfen. Nur von zwei Bäumen sollen sie nicht essen. Was machen diese beiden typischen Menschen - genau diese beiden Bäume geraten in den Blick; wie bei kleinen Kindern, denen man sagt: Tu es nicht.

Ihr werdet sein wie Gott ...

Was dann passiert, hat mit Sexualität weniger als nichts zu tun. Die Schlange als Sinnbild für die Macht, die den Menschen von Gott weglockt, wendet sich an Eva - nebenbei: mit der muss sie noch diskutieren, während Adam sofort ohne Bedenken zubeißt. Die Schlage flüstert Eva ein: Wenn ihr von dem Baum esst, werdet ihr sein wie Gott. Das ist der Schlüsselsatz, der die Begierde des Menschen beschreibt: Er will sein wie Gott, nicht Geschöpf, das sich einordnet, sondern Schöpfer, dem alles untergeordnet ist. Wer sich heute in der Welt umschaut, wird doch genau diese Begierde im Menschen wiederfinden, dass er sein will wie Gott, dass er meint, sein Leben und diese Welt alleine gestalten zu können. Wohin das führt, sehen wir.

Wenn ich über diese Begierde mit Zeitgenossen diskutiere, vergleiche ich sie mit der Pubertät. In dieser Zeit müssen Jugendliche zwangsläufig gegen ihre Eltern und gegen Obrigkeit rebellieren. Das gehört zu einer gesunden Entwicklung dazu und zieht sich durch alle Zeiten. Man lese einmal nach, was der Philosoph Sokrates (* um 469 vChr, † 399 vChr) über die Jugend sagt: “Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.”

Erbsünde als notwendiger Ablösungsprozess von Gott ...

Wenn diese Zeit der Rebellion aber durchlebt ist und wenn alles einen guten Verlauf genommen hat, finden Kinder und Eltern wieder zu einem guten und ein Leben lang tragfähigen Verhältnis zueinander. So ist das aus meiner Sicht auch mit der Begierde, so sein zu wollen wie Gott. Diesen Ablösungsprozess von Gott durchlaufen alle Menschen, müssen sie zwangsläufig durchlaufen - deshalb kann man von einer “Erbsünde” sprechen, die von einer auf die nächste Generation vererbt wird. Gott will aber, dass wir den Weg zu ihm zurückfinden. Er setzt das nicht mit Zwang und Strafen durch, er wendet sich vielmehr immer wieder in Liebe an seine Menschen.

Jesus Christus - Gottes Antwort auf die Erbsünde ...

Die theologisch wichtige Zeit des Alten Testaments - Israel, Gebote, Propheten etc. - überspringe ich und komme gleich zu Jesus Christus, von dem wir glauben, dass er der Sohn Gottes ist - aber nicht im biologischen Sinn. Dieser Jesus hat gezeigt, wie Leben vor Gott und miteinander gelingen kann. Diese Lebensweise hat er so beschrieben: “Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Markus 12,29-31)

Dreimal spricht Jesus von der Liebe:

  • die Liebe zu Gott
  • die Liebe zum Nächsten
  • die Liebe zu sich selbst

Wenn das in einem ausgewogenen Verhältnis steht, wird persönliches und gesellschaftliches Leben gelingen.

Religiöse Engführung und politischer und militärischer Absolutheitsanspruch ...

Die damaligen Eliten wollten das Auftreten und das Vorbild Jesu aber nicht gelten lassen. Der jüdische Hoherat lehnte seine Auslegung der Heiligen Schriften ab, denn “er lehrte mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten” (Mk 7,29). Die römische Besatzungstruppe meinte, dieser “König der Juden” könnte ihnen militärisch und politisch gefährlich werden. Dabei hatte er doch deutlich gesagt: “Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!” (Mk 12,17) In dieser Gemengelage aus politischem Absolutheitsanspruch und religiöser Engführung wurde das Todesurteil über Jesus gesprochen. Und damit setzten sich die Verantwortlichen über den Willen Gottes hinweg, der seinen Sohn in die Welt gesandt hatte, damit Leben gelingt. “Ihr werdet sein wie Gott …”

Gott schenkt Leben ...

Doch für Gott war das nicht der Schlusspunkt. Es ist das Zentrum, das Fundament christlichen Glaubens, dass Gott seinen Sohn am dritten Tage auferweckte von den Toten, dass Gott mit diesem Wunder das Leben und Handeln seines Sohnes bestätigte und damit deutlich machte: Ein “gottloses” Leben kennt nur ein Ziel hat, den Tod. Und das gilt nicht nur für die Zeit Jesu, das gilt auch ganz offenkundig für alle Zeiten und alle Religionen: Wo religiöser Fanatismus und militärische Gewalt sich verbünden, da herrscht Tod und Verderben, da herrscht die Sünde!

Wenn wir Christen diesen Zusammenhang anerkennen, wenn wir glauben, dass Christus für unsere Sünde bzw. durch menschliche Sünde gestorben ist, dass Gott uns dies aber vergibt, dass er Christus von den Toten auferweckte und uns damit ein Bild gelungenen menschlichen Lebens in dieser Welt vor Augen stellt, dann sagen die Schriften des Neuen Testament, dass uns dieser Glaube als Gerechtigkeit angerechnet wird, dass Gott uns gerecht spricht und wir befreit von der Sünde, von der Begierde, so sein zu wollen wie Gott, im Frieden mit Gott und dem Nächsten leben können. Aus diesem Glauben folgen dann beinahe zwangsläufig die “guten Werke” - Gott lieben, den Nächsten lieben, mich selbst lieben. Das ist die Rechtfertigungslehre, die Geißler als Häresie betrachtet.

Schuster - Geißler - bleib bei deinem Leisten ...

Was Heiner Geißler im Blick auf das Handeln bzw. Nichthandeln der großen Kirchen hinsichtlich von Politik und Wirtschaft sagt, kann ich zum größten Teil unterstreichen. Wenn er dann aber die christlichen Lehren von Sünde und Vergebung als eine Information über einen “Klumpen Sündendreck” diffamiert und von einer Ayatollah-Kirche spricht, die sich unangemessen ins Privatleben einmischt, dann weiß ich nicht, welche Kirche der Politiker vor Augen hat und welche Gottesdienste er besucht. Mit solchen Äußerungen diskreditiert Heiner Geißler sich selbst.

Samstag, 3. September 2016

Lutherische Kirche im 21. Jahrhundert ...

Die nachfolgenden Zeilen verfasse ich für die Ausgabe September bis November 2017 unseres Gemeindebriefes Sprachrohr. Die zitierten Texte fand ich lesenswert. Wenn wir im Nächsten Jahr das Thema "Luthers Studien" fortführen, werden auch diese Zeilen einen Platz in der Diskussion einnahmen.

Warum die evangelische Kirche keine Pfarrer mehr braucht ...

Ein Artikel aus dem aktuellen Deutschen Pfarrerblatt hat mich nicht mehr losgelassen. Überschrieben waren die Seiten “Der Triumph der funktionalen Kirche”, und im Untertitel formulierte der Autor Christoph Bergner “Warum die evangelische Kirche keine Pfarrer mehr braucht”. Seit den 1970er Jahren, so Christoph Bergner, stärken die Landeskirchen die mittleren Ebenen, indem Kompetenzen von der Gemeindeebne abgezogen und auf der Dekanats- oder Kirchenkreisebene angesiedelt werden.

Starke Impulse in dieser Richtung brachte das 2006 initiierte Reformprogramm “Kirche der Freiheit”. Die Kirchenleitungen setzen den Fokus auf regionale Zentren, auf Profilgemeinden, auf Leuchttürme, die in die Fläche ausstrahlen sollten. Deshalb, so die Annahme der Reformer, sei es auch hinzunehmen, dass die Zahl der Kirchengemeinden und Pfarrstellen reduziert würden.

Mittlerweile regt sich Widerstand gegen solchen landeskirchlichen Reformeifer. Der Journalist Michael Hollenbach von Deutschlandradio Kultur hält fest: “Neoliberaler Zeitgeist durchzog das Papier "Kirche der Freiheit", mit dem die EKD vor zehn Jahren Aufbruchsstimmung verbreiten wollte. Doch das Experiment mit Trau- und Taufquoten, Qualitätsmanagement und Benchmarking ging gründlich schief”.

Lokale Präsenz von Kirchen und von Pfarrerinnen und Pfarrern ist für die Kirchenmitglieder absolut elementar ...

Hollenbach zitiert die Kritikerin Isolde Karle: "Es ist sicherlich sinnvoll, Leuchttürme in Großstädten zu haben und die besonders finanziell auszustatten, aber dieser Rückzug aus der Fläche, Abwertung aus den Ortsgemeinden, das war der völlige Wahnsinn. Die fünfte Mitgliedschaftsuntersuchung zeigt ganz deutlich, dass die lokale Präsenz von Kirchen und von Pfarrerinnen und Pfarrern absolut elementar ist für die Kirchenmitglieder."

Kirche ist da, wo das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden ...

Wenn lutherische Kirche im 21. Jahrhundert vor Ort präsent sein will, muss sie sich an die Ursprünge erinnern. Die Reformatoren formulierten im Augsburger Bekenntnis von 1530: “Es wird gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.”

Wir werden im Reformationsjahr 2017 - und auch in der Folgezeit - nach Wegen suchen müssen, wie wir dieses Bekenntnis in gelebte Gemeindepraxis ummünzen können. Übrigens, der Blick auf unsere Partnergemeinden in Tansania macht Hoffnung: Gottes Wort gewinnt auch heute Menschen!
Quellen:
http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt//index.php?a=show&id=4105
http://www.deutschlandradiokultur.de/zehn-jahre-impulspapier-kirche-der-freiheit-mit-viel-pathos.1278.de.html?dram:article_id=358310

Sonntag, 26. Juni 2016

Vortrag am 31.05.2016

Vortrag am 31.05.2016 im Rahmen der Reihe

Auf dem Weg zum Reformationsjahr 2017

organisiert von KIM - Kirche in Meppen

Literaturnachweis am Ende des Dokuments
Bildnachweis am Ende des Dokuments
Lizenz (CC BY-SA 3.0)

Einleitung 

Martin Luther (1)

* 10. November 1483 in Eisleben, Grafschaft Mansfeld;
† 18. Februar 1546 ebenda mit 62 Jahren.

Luthers Eltern (2)

Hans Luther (1459–1530 Margarethe Luther, geb. Lindemann (1459–1531)
Dass "Luthers Eltern kirchentreu, jedoch nicht übermäßig fromm" waren, kann man bei Wikipedia nachlesen, Insgesamt habe ich - ohne dass das im Folgenden immer vermerkt wird - den Artikel im Onlinelexikon für Informationen zum Leben des Reformators herangezogen.

Brüder vom gemeinsamen Leben


Von 1490/1491 bis 1497 ging Martin Luther in Mansfeld zur Stadtschule, danach ein Jahr die Domschule in Magdeburg. Dort lernte er bei den "Brüdern vom gemeinsamen Leben". Diese spätmittelalterliche Erweckungsbewegung war von Geert Groote Ende des 14. Jahrhunderts in Deventer ins Leben gerufen worden. Auch wenn die Mitglieder in kleinen klosterähnlichen Gemeinschaften lebten, legten sie kein Mönchsgelübde ab. Die Brüder vom Gemeinsamen Leben "predigten eine praktische Frömmigkeit und galten als die wichtigsten Vertreter der Devotio moderna".

Devotio moderna


Die Devotio moderna „zielte … auf eine besondere persönliche und innerliche Frömmigkeit ab, die ihre Kraft nicht so sehr aus der Mitfeier der kirchlichen Liturgie und aus den Sakramenten schöpfte als vielmehr aus der stillen Betrachtung des Leidens Christi und aus dem Geiste der Bergpredigt“. Dabei blieb sie jedoch „ganz und gar kirchentreu“ (August Franzen). (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Devotio_moderna)

Universität


Im Frühjahr 1501 nahm Luther mit 17 Jahren das Studium an der Universität in Erfurt auf. An der Artistenfalkultät erwarb er die Kenntnisse in den „Septem artes liberales“ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie). Ein erfolgreicher Abschluss war Voraussetzung für das Studium an einer der drei „höheren Fakultäten“ (Theologie, Jurisprudenz, Medizin).

Das Collegium Maius, ehemaliger Sitz der 1392 gegründeten Universität in Erfurt (3)

Scholastische Methode


Geprägt war die universitäre Lehre damals von der Scholastik. Diese Denkweise greift auf die logischen Schriften des Aristoteles zurück. Zunächst werden die Argumente einander gegenübergestellt, die für eine Behauptung und die gegen diese sprechen. Nach Abwägung der Argumente wird eine Entscheidung über deren Richtigkeit getroffen. Abzulehnen sind Argumente, die entweder unlogisch oder das Ergebnis einer begrifflichen Unklarheit sind oder indem man zeigen kann, "dass sie mit evidenten oder bereits bewiesenen Tatsachen unvereinbar sind".

Argumentationsstruktur


Im Sinn des aristotelischen Syllogismus wurden die Argumente strukturiert. Mit dem Obersatz "propositio maior" und dem Untersatz "propositio minor" wurden die zu untersuchenden Aussagen in einen Zusammenhang gestellt, um daraus die richtige Schlussfolgerung abzuleiten.

Ob das nachfolgend gewählte Beispiel die Scholastische Methode treffend beschreibt, kann ich nicht sagen. Deutlich wird aber die systematische Vorgehens- und Denkweise.


Syllogismus (4)

Dass man sich bei diesem Verfahren vor Trugschlüssen hüten musste, macht das nachfolgende Beispiel deutlich:

Im Frühjahr kehren die Störche nach Europa zurück.
Im Frühjahr steigt in Europa die Geburtenzahl.
Fehlschluss: Die Rückkehr der Störche verursacht eine Steigerung der Geburtenzahl.
(vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fehlschluss#Klapperstorch)

Die scholastische Lehre vertraute der Methode der Deduktion. Dabei wurden Schlüsse vom Allgemeinen auf das Besondere gezogen, wobei die Richtigkeit der Voraussetzungen, die sich in der Vergangenheit bewährt hatten, nicht in Zweifel gezogen wurde. Die deduktiven Ergebnisse der Scholastik hafteten an deren Prämissen und ließen so keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse zu, was auf die Kritik konservativer Antidialektiker, der Humanisten und der Vordenker der neuzeitlichen Naturwissenschaften stieß.

Erst der wissenschaftliche Ansatz der frühen Neuzeit, der sich nicht allein auf die Deduktion verließ, wonach "Beobachtungen so zu deuten (waren), dass man sie mit vorgegebenen Prinzipien und deren Konsequenzen vereinbaren" konnte, läutete das Ende der Scholastik ein. Der Deduktion stellte man die Induktion als wissenschaftliche Methode gleichberechtigt zur Seite, so dass empirisch Erfahrungswissen zur Urteilsfindung herangezogen wurde.

Deduktion und Induktion (5)

zu den beiden vorangegangenen Abschnitten vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Scholastik; https://de.wikipedia.org/wiki/Syllogismus; https://de.wikipedia.org/wiki/Deduktion

Jurisprudenz


Nach Abschluss des Grundstudiums nahm Luther auf väterlichen Wunsch zum Sommersemester 1505 das Studium an der Juristenfakultät auf. Dabei wird die klassische Definition des römische Jurist Ulpian († 223 oder 228 n. Chr. in Rom), was Rechtswissenschaft ist, dem Inhalt nach Einfluss auf Luthers Denken ausgeübt haben: "Rechtswissenschaft ist die Kenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge, die Wissenschaft vom Gerechten und Ungerechten." (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtswissenschaft)

Kanonisches Recht


Ein Spezialfall des Rechts war das Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche. Die Sammlung und Kodifizierung dieses Rechts begann im Mittelalter und wurde dann im Corpus Iuris Canonici zusammengefasst. Einzelnen Normkomplexe werden als Canones (griechisch/lateinisch canon =‚Richtschnur) bezeichnet, daher die Bezeichnung "Canonisches Recht. Bis 1917 blieb das Corpus Iuris Canonici die maßgebliche Gesetzessammlung der römisch-katholischen Kirche. (vgl. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Kanonisches_Recht)

Luther tritt bei den Augustiner-Eremiten ein


Das Studium an der Juristenfakultät nahm am 2. Juli 1505 ein jähes Ende. Martin Luther war bei seinen Eltern in Mansfeld zu Besuch. Auf dem Rückweg nach Erfurt geriet er bei Stotternheim in ein schweres Gewitter. In seiner Todesangst rief er zur Heiligen Anna, der Mutter Marias: „Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Die Autoren bei Wikipedia schreiben dazu: "Weshalb der junge Luther gerade dieses Gelübde ablegte und einen kirchlichen Lebensweg einschlug, erklärt sich weder aus seiner Erziehung noch seiner Todesangst ganz."

Weil sie im Ruf standen, ihren Glaubens besonders streng zu leben, trat Luther am 17. Juli 1505 in das Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein. Relativ schnell wurde er knapp zwei Jahre später zum Diakon (27. Februar 1507) und nach noch nicht einmal zwei weiteren Monaten zum Priester (4. April 1507) geweiht.

Die Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ quälte Luther geradezu. Deshalb hielt er sich genau und streng an die Ordensregeln und unterzog sich täglich den Bußübungen. Trotzdem blieben die Gewissensnöte. Da Luther bei sich selbst merkte, dass seine Haltung Gott gegenüber nicht durch "aufrichtige Reue aus Liebe" bestimmt war, sondern durch "Angst vor der Bestrafung", konnte er sich - so verstand er die gängige Lehrmeinung seiner Kirche - der Vergebung nie gewiss sein. Damit stürzte Luther in eine "verzweifelte Heilsungewissheit" darüber, ob er die Voraussetzung zur Vergebung seiner Sünden erfüllen könne oder ob nicht eine ungültige Absolution ewige Verdammnis nach sich ziehen würde.

Im Vorwort zur Gesamtausgabe seiner Schriften aus dem Jahr 1545 beschreibt Luther im Rückblick, wie er diese Zeit erlebte. Bezugnehmend auf den Bibelvers Römer 1,17 »Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart« heißt es bei Luther: "Ich hatte ... dieses Wort "Gerechtigkeit Gottes" zu hassen gelernt, das ich nach dem allgemeinen Wortgebrauch aller Doktoren philosophisch als die sogenannte formale oder aktive Gerechtigkeit zu verstehen gelernt hatte, mit der Gott gerecht ist, nach der er Sünder und Ungerechte straft." (zitiert nach dem Dokument der Universität Duisburg-Essen, Institut für Evangelische Theologie https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/luther-roem1.htm)

Ablass


Abhilfe aus dieser Not sollte damals - wie auch heute - eigentlich der Ablass bieten. Nach der Lehre der katholischen Kirche ist der Ablass ein Gnadenakt, durch den zeitliche Sündenstrafen erlassen werden (nicht dagegen die Sünden selbst vergeben). Die zeitlichen Sündenstrafen werden im Sakrament der Beichte oder auch erst im Fegefeuer (Paltz) auferlegt. Um die Dauer dieser Strafen zu verkürzen, gibt es nach katholischer Lehre Teil- oder vollkommene Ablässe, die sowohl den Lebenden und als auch den Verstorbenen zugewendet werden können.

Nach Auffassung von Luthers Lehrer Johann von Paltz (ca. 1445-1511), der sich an die allgemein gültige Lehre der damaligen Zeit anschließt und dies in seiner Schrift "Die himmlische Fundgrube" 1502 festgehalten hat, besitzt die Kirche im wesentlichen vier Schätze, aus denen der Ablass hervorgeht:

  1. Das überreichliche Verdienst des Leidens Christi, das wegen seiner Göttlichkeit, und das heißt: wegen seiner Unendlichkeit, zur Erlösung unbegrenzt vieler Menschen ausreichen würde ...
  2. Das überreichliche Leiden der allerheiligsten Gottesmutter Maria, die, ohne selbst eine lässliche oder gar eine Todsünde begangen zu haben, zur Zeit des Leidens Christi und auch sonst viele Schmerzen ertragen hat.
  3. Der von den allerheiligsten Märtyrern erworbene Schatz, deren Blut und Leiden, wie man sagt, mehr Verdienste erworben hat, als für sie selbst zum Heil nötig gewesen wäre ...
  4. Der von den allerheiligsten Bekennern erworbene Schatz, deren Verdienste so erhaben waren, dass auch weit geringere zu ihrem eigenen Heil ausgereicht hätten.

Nach diesen Ausführungen kann Paltz dann feststellen: "Aufgrund dieses Schatzes, den man auch als Buße bezeichnen kann, die ein anderer leistet, kann nun die Kirche aus der Fülle ihrer Macht im Einklang mit der Gerechtigkeit Gottes die Strafe durch den Ablass vergeben." (vgl. zu Paltz insgesamt Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen [KThGQ] Band II S. 240f)

Ablasshandel


"Obwohl nichts dafür gegeben werden könnte, was würdig genug wäre, eine solche Gnade (des Ablasses) zu verdienen, da Gottes Gabe und Gnade jede Berechnung übersteigt", schreibt ungefähr im Jahr 1517 Albrecht von Brandenburg (1490-1545), Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt (seit 1513), Erzbischof und Kurfürst von Mainz (seit 1514), "setzen wir doch folgenderweise die Ordnung fest:

Ein jeder, der im Herzen zerknirscht ist und mit dem Munde gebeichtet hat, oder die aufrichtige Intention hat, zu gehöriger Zeit zu beichten, soll wenigstens sieben Kirchen besuchen, die hierfür bestimmt sind, nämlich in denen die Wappen des Papstes aufgehängt sind; und in jeder Kirche soll er andächtig fünfmal das Vaterunser und fünfmal das Ave Maria beten zu Ehren der fünf Wunden unseres Herrn Jesus Christus, durch den unsere Erlösung geschehen ist, oder einmal das Miserere (Ps 51 Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,  und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. [Vers 1]) ..."

Entsprechend dem Vermögen und Einkommen derjenigen, die den Ablass begehren, setzt Albrecht dann quasi eine Gebührenordnung für den Ablass fest:

  • Könige und Königinnen sowie ihre Kinder, die Erzbischöfe und Bischöfe sowie andere große Fürsten - mindestens 25 rheinische Goldgulden
  • Äbte und großen Prälaten der Kathedralkirchen, Grafen, Barone und andere mächtige Edelleute und ihre Frauen - 10 rheinische Goldgulden 
  • Andere Prälaten und kleinere Edelleute, wie auch die Rektoren berühmter Orte, und alle anderen, die … im Jahr 500 Goldgulden Einkommen haben - 6 rheinische Goldgulden 
  • Andere Bürger und Kaufleute, die durchschnittlich 200 Goldgulden einnehmen - 3 rheinische Goldgulden 
  • Andere Bürger, Kauf- und Handwerksleute, die eigene Einkünfte und Familie haben - 1 rheinischen Gulden 
  • Andere kleinere Leute - 1/2 rheinischen Gulden
  • Diejenigen, die kein Vermögen haben, sollen mit Gebet und Fasten ihren Beitrag ergänzen; denn das Himmelreich darf den Reichen nicht mehr als den Armen offenstehen

(vgl. zu Albrecht von Brandenburg KThGQ Band III S. 12ff)

Fegefeuer


Eine entscheidende Rolle spielt in diesem Zusammenhang das so genannte "Fegefeuer", wo diejenigen Läuterung erfahren, die zwar im Glauben an Gottes Güte sterben, deren "zeitliche Sündenstrafen" aber noch nicht endgültig abgegolten sind. Im Hintergrund dieser Vorstellung steht ein Gedanke des Apostel Paulus aus dem 1. Brief an die Korinther: "Der Tag des Gerichts wird's klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch." (1. Kor 3,13-15)

Damit wird deutlich, dass das Fegefeuer mit der Vorstellung der Hölle als Ort der ewigen Verdammnis nichts zu tun hat. Die Qual der "armen Seelen" im Fegefeuer besteht darin, dass sie zwar die Gegenwart und Liebe Gottes spüren, dass sie sich aber aufgrund ihrer Sünden sich dessen nicht würdig führen. Allerdings dürfen sie sich der Rettung sicher sein. Sie werden das Fegefeuer verlassen, um in den Himmel aufgenommen zu werden. Dabei können Gebete der Lebenden helfen, diese Zeit zu verkürzen.

Diese an sich tröstlichen Gedanken dürften durch die zur Zeit Luthers propagierten Vorstellungen konterkariert worden sein. Die zeitgenössischen Darstellungen müssen den Gläubigen den Eindruck fürchterlicher Qualen im Fegefeuer vermittelt haben.

Fegefeuer-Darstellung von 1519 in der Predella
des Hochaltars der Bad Wimpfener Stadtkirche (6)

Zu solch bildlichen Darstellungen kamen die Ausführungen der kirchlichen Vertreter. Dabei nahmen die Ablassprediger gezielt die Verstorbenen in den Blick, für die die Lebenden einen Ablass erwerben sollten. Das war sehr einfach, weil es nach Auffassung Albrechts von Brandenburgs dazu nicht nötig war, "dass die Personen, die für die Seelen (Geld) in den Kasten legen, im Herzen zerknirscht sind und mit dem Munde gebeichtet haben" (a.a.O.). Schriftlich festgehalten sind dann diese Formulierungen: "Hört ihr nicht die Stimme eurer toten Eltern und anderer Leute, die da schreien und sagen: »’Erbarmt, erbarmt euch doch meiner, weil die Hand Gottes mich berührt hat’ [Hi 19,21]. Wir sind in schweren Strafen und Pein, wovon ihr uns mit wenig Almosen erretten könntet, und doch nicht wollt.« Tut die Ohren auf, weil der Vater zu dem Sohn, die Mutter zu der Tochter schreit: ... »Wir haben euch gezeugt, ernährt, erzogen und euch unser zeitliches Gut überlassen; und ihr seid so grausam und hart, dass ihr, wo ihr uns doch jetzt mit leichter Mühe erretten könntet, es nicht wollt und uns in Flammen wälzen lasst, dass wir so langsam zur verheißenen Herrlichkeit kommen.«" (KThGQ Band III S. 16)

Ablasspraxis in Wittenberg: Der Reliquienschatz der Schloßkirche


Für den Abbau der "zeitlichen Sündenstrafen" durch den Ablass gab es auch die Möglichkeit, sich im Blick auf diese Strafen durch die Anbetung von Reliquien Erleichterung zu verschaffen. Als ein Beispiel solcher Reliquien stehen hier die "Sandalen Jesu", die in der Abtei Prüm (Eifel) ausgestellt sind.

Sandalen Jesu, Abtei Prüm (Eifel) (7)

Luthers Landesherr Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1486-1525) hatte im Lauf der Jahre in seiner Schlosskapelle zu Wittenberg eine große und auserlesene Sammlung von Reliquien zusammengetragen. Die fromme Betrachtung und Anbetung dieser Reliquien bot reichlich Gelegenheit für einen Ablass. Im Blick auf Jesus werden folgende Reliquien aufgezählt:

  • Von der Stelle, wo der Herr Jesus geboren ist, vier Partikel; 
  • von den Tüchlein, darin er gewickelt war, eine Partikel; 
  • von der Krippe Jesu dreizehn Partikel; 
  • von der Wiege eine Partikel; 
  • vom Heu zwei Partikel; 
  • vom Stroh, darauf der Herr, als er geboren war, gelegt wurde, eine Partikel; 
  • vom Gold eine Partikel; 
  • von der Myrrhe, die die heiligen drei Könige dem Herrn geopfert haben, eine Partikel; 
  • von der Stelle, wo der Herr Jesus beschnitten wurde, eine Partikel.

Insgesamt 25 Partikel

Am Ende des "Reliquienkataloges" kann dann festgestellt werden:

Summe aller Partikel: 5005. Für jede Partikel 100 Tage Ablaß. Es sind acht Gänge. Jeder Gang hat noch einmal 100 Tage und einen vierzigtägigen Ablaß. - Selig sind, die daran teilhaben.

vgl. KThGQ Band III S. 17

Es heilsnotwendig ist, dass alle Christen dem römischen Papst unterstehen 


Die Frage nach der Bedeutung der päpstlichen Macht, zu allen Zeiten virulent, war in den beiden Jahrhunderten vor der Reformation immer wieder aufgeworfen worden. Mit der Bulle "Unam Sanctam" erhebt Bonifatius VIII. 1302 den Anspruch, dass die geistliche Macht über die weltliche Gewalt Recht sprechen solle, wobei sie selbst nur Gott verpflichtet sei. „So erklären wir denn, daß alle menschliche Kreatur bei Verlust ihrer Seelen Seligkeit untertan sein muß dem Papst in Rom, und sagen es ihr und bestimmen es.“ Als Begründung wird Mt 16,19 herangezogen, wo Jesus Petrus zusagt: "Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. " (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Unam_Sanctam und https://de.wikipedia.org/wiki/Papstprimat)

Papst Leo X (8)

Auf dem Konzil von Konstanz 1415 wurde zwar die Feststellung getroffen, dass das Konzil über dem Papst stehe, jedoch bekräftigte Leo X auf dem fünften Laterankonzil 1516 den Primatanspruch des römischen Pontifex, "der die Autorität über alle Konzilien besitzt …“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Papstprimat) Ferner wird festgehalten: "Da es heilsnotwendig ist, dass alle Christen dem römischen Papst unterstehen, wie wir aus dem Zeugnis der göttlichen Schrift und der heiligen Väter belehrt werden, wie auch aus der Konstitution unseres Vorgängers Bonifaz VIII. [1294-1303], seligen Andenkens, die beginnt: »Unam sanctam«, hervorgeht, erneuern und bestätigen wir unter Billigung des anwesenden heiligen Konzils eben diese Konstitution zum Heil jener gläubigen Seelen und zugunsten der höchsten Autorität des römischen Papstes und dieses heiligen Stuhles ..." (KThGQ Band III S. 8)

Da dieses Konzil aber praktisch nur von Italienern und Kurienkardinälen besucht war, wurde die Allgemeingültigkeit der Aussagen hinterfragt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Papstprimat)

Am 18. Juli 1870 auf dem 1. Vatikanischen Konzil wurde dann mit dem Dokument Pastor Aeternus (Ewiger Hirte) als Glaubenssatz verkündet, "dass der Papst Inhaber der obersten Befehlsgewalt (Jurisdiktionsgewalt) in der katholischen Kirche und damit verbunden bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen unfehlbar sei". (https://de.wikipedia.org/wiki/Pastor_Aeternus)

Romreise


Im Jahr 1510 oder auch erst im Spätsommer 1511 zog Luther in Ordensangelegenheiten mit einem Mitbruder nach Rom. ... Er wollte diese Reise offensichtlich auch als persönliche Pilgerreise nutzen und legte so seine dritte Generalbeichte ab. Auf der „Heilige Treppe“ am Lateran betete er um Sündenvergebung für sich und seine verstorbenen Verwandten im Fegefeuer, ganz im Sinn der römischen Buß- und Ablasspraxis. Allerdings war Luther entsetzt über den Unernst und Sittenverfall, die ihm in Rom begegneten.

Da Luther diese Reise in späteren Schriften und Reden immer wieder erwähnt, muss sie zu den Schlüsselerlebnissen seines Lebens gezählt werden. [vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther#Romreise]

Reformatorische Wende


Die zeitliche Einordnung, wann Luther das Prinzip der Gerechtigkeit Gottes sola gratia (allein aus Gnade) entdeckte, ist in der Forschung umstritten. Manche Forscher nehmen dafür die Jahre 1511 bis 1513 in den Blick, andere meinen. der Durchbruch sei um 1515 oder um 1518 geschehen. Schließlich ist eine allmähliche Entwicklung der reformatorischen Wende nicht auszuschließen.

Unstrittig ist, dass Luther sich in seiner Entdeckung auf den Bibelvers Röm 1,17 bezog: "Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben. (Hab 2,4)" Ein weiterer bedeutender Bibelvers ist Röm 3,28: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben."

Im Frühjahr 1545 erschien noch zu Luthers Lebzeiten eine Gesamtausgabe seiner Schriften. In der Vorrede für den ersten Band der lateinischen Schriften kam Luther auf seine Entdeckung der "Gerechtigkeit Gottes" zu sprechen: "... Ich war von einer wundersamen Leidenschaft gepackt worden, Paulus in seinem Römerbrief kennenzulernen, aber bis dahin hatte mir nicht die Kälte meines Herzens, sondern ein einziges Wort im Wege gestanden, das im ersten Kapitel steht: »Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm [= Evangelium] offenbart« [Röm 1,17]. Ich hatte nämlich dieses Wort >Gerechtigkeit Gottes< zu hassen gelernt, das ich nach dem allgemeinen Wortgebrauch aller Doktoren philosophisch als die sogenannte formale oder aktive Gerechtigkeit zu verstehen gelernt hatte, mit der Gott gerecht ist, nach der er Sünder und Ungerechte straft.

Ich aber, der ich trotz meines untadeligen Lebens als Mönch, mich vor Gott als Sünder mit durch und durch unruhigem Gewissen fühlte und auch nicht darauf vertrauen konnte, ich sei durch meine Genugtuung mit Gott versöhnt: ich liebte nicht, ja, ich hasste diesen gerechten Gott, der Sünder straft; wenn nicht mit ausgesprochener Blasphemie, so doch gewiss mit einem ungeheuren Murren war ich empört gegen Gott und sagte: »Soll es noch nicht genug sein, dass die elenden Sünder, die ewig durch die Erbsünde Verlorenen, durch den Dekalog mit allerhand Unheil bedrückt sind? Muss denn Gott durch das Evangelium den Schmerzen noch Schmerzen hinzufügen und uns durch das Evangelium zusätzlich seine Gerechtigkeit und seinen Zorn androhen?« So raste ich in meinem wütenden, durch und durch verwirrten Gewissen und klopfte unverschämt [Lk 11,5-10] bei Paulus an dieser Stelle an, mit heißestem Durst zu wissen, was St. Paulus damit sagen will.

Endlich achtete ich in Tag und Nacht währendem Nachsinnen durch Gottes Erbarmen auf die Verbindung der Worte, nämlich -. »Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm offenbart, wie geschrieben steht [Hab 1,4], >Der Gerechte lebt aus dem Glauben<. « Da habe ich angefangen, die Gerechtigkeit Gottes so zu begreifen, dass der Gerechte durch sie als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus Glauben; ich begriff, dass dies der Sinn ist: offenbart wird durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes, nämlich die passive, durch die uns Gott, der Barmherzige, durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: »Der Gerechte lebt aus dem Glauben«. (zitiert nach: Universität Duisburg-Essen, Institut für Evangelische Theologie https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/luther-roem1.htm; Absätze von mir eingefügt)

Angesichts dieser Formulierungen ist eine allmähliche Entwicklung in der reformatorischen Wende nicht unwahrscheinlich. Dafür spricht auch, dass Luther keinen systematischen Gesamtentwurf seiner Theologie vorlegte, sondern in seinen Schriften durchaus auch zu aktuell anstehenden Fragen theologisch Stellung bezog. Dabei sind Fortschreibungen in Einzelfragen durchaus zu beobachten.

Im Folgenden will ich mit ausgewählten Schriften Luthers Zeugnisse zur Reformatorischen Wende zu belegen.

Reformation statt Reform: Luther zum Auftrag der Kirche (1512?)


Bereits bei der Bezirkssynode des Bistums Brandenburg im Juni 1512 (21. Mai 1519) entwickelte Luther sein Grundprogramm einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern und lenkte den Blick auf das Studium der Heiligen Schrift.

"Ihr könnt auf dieser ehrwürdigen Synode noch soviel beschließen und erlassen, das einzig Wichtige aber ist, den Priestern, doch die Lehrer des Volkes, zu gebieten, von den frei erfundenen Fabeln abzulassen. Ihre Sache ist das reine Evangelium und seine heiligen Ausleger. Sie sollten dem Volk gewissenhaft das Wort der Wahrheit verkündigen, endlich auch alle Menschenlehren unterlassen oder wenigstens ihren Unterschied zum Worte Gottes hervorheben." KThGQ Band III

Erste Psalmenvorlesung (1513/15)


Selbstverdammung, Rechtfertigung und der Bund Gottes


In Luthers Ausführungen zu Ps 51,6f. (An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan, auf dass du Recht behaltest in deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest. Siehe, ich bin als Sünder geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.) liest man einerseits von der Selbstverdammung des Christen, andererseits darf der "Glaubende" darauf vertrauen, dass Gott seinen einmal geschlossenen Bund hält.

"Daher wird [Gott] von niemand anderem als gerecht erwiesen als von dem, der sich selbst anklagt, verdammt und richtet. Der Gerechte nämlich ist zuallererst Ankläger, Verdammer und Richter seiner selbst. Und deshalb erweist er Gott als gerecht und lässt ihn siegen und überwinden. Dagegen ist der Gottlose und Übermütige zuerst einer, der sich entschuldigt, verteidigt, rechtfertigt und zu retten sucht. Daher sagt er eben damit, er bedürfe Gottes als Retter nicht und richtet Gott in seinen Worten und macht ihn ungerecht und klagt ihn als Lügner und Falschredner an. ...

Ja auch Glaube und Gnade, durch die wir heute gerechtfertigt werden, würden uns von sich aus nicht rechtfertigen, wenn es nicht der Bund Gottes täte. Eben deshalb nämlich werden wir selig, weil er einen Bund und Pakt [testamentum et pactum] mit uns gemacht hat, dass »wer da glaubet und getauft wird, selig wird« [Mk 16,16]. In diesem Bunde aber ist Gott wahrhaftig und treu und hält, was er versprochen hat. Daher ist es wahr, dass wir vor ihm immer in Sünden sind, so dass er selbst - nämlich durch seinen Pakt und Bund, den er mit uns geschlossen hat -‚ der ist, der gerecht macht."

Gott, unser Schuldner aus freien Stücken


Diesen Gedanken, dass es bei der Rechtfertigung allein auf Gott ankommt, führt Luther in seinen Scholien zu Ps 115,1 (Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Gnade und Treue willen!) mit einem durchaus eigenwilligen Beispiel weiter. "... Daher beruht die Tatsache, dass Gott sich zu unserem Schuldner gemacht hat, auf der Verheißung ... dessen, der sich erbarmt, und nicht auf der Würdigkeit der menschlichen Natur, die Verdienste erwirbt. Denn nichts hat er gefordert außer der Vorbereitung, dass wir für seine Gnade aufnahmefähig sind...; gleichwie ein Fürst oder König des Landes seinem Räuber oder einem Mörder hundert Gulden versprechen würde und nur forderte, dass dieser zum festgesetzten Zeitpunkt und Ort ihn empfangsbereit erwarte. So ist klar, dass jener König aufgrund seines freiwilligen Versprechens ... und seiner Huld ... Schuldner ist ohne das Verdienst des Räubers bzw. Mörders und dass er auch nicht wegen dessen Schuld verweigert, was er versprochen hat. So verhält es sich auch mit der geistlichen Ankunft [adventus] durch Gnade und der endzeitlichen Ankunft in Herrlichkeit, weil sie nicht aufgrund unserer Verdienste, sondern allein aufgrund der Verheißung des barmherzigen Gottes geschehen. Gott hat nämlich für die geistliche Ankunft diese Verheißung gegeben: »Bittet, so werdet ihr empfangen, suchet, so werdet, klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn jeder, der bittet, empfängt« [Mt 7,7f.].

Daher sagen die Gelehrten ... mit Recht, dass Gott dem Menschen, der tut, was in seinen Kräften steht, unfehlbar die Gnade gibt ..., und dass der Mensch sich zwar nicht in voller Würdigkeit auf die Gnade vorbereiten kann, weil sie jeden Maßstab übersteigt, wohl aber in billiger Angemessenheit ..., eben wegen dieser Verheißung Gottes und des Bundes der Barmherzigkeit. ...

Römerbriefvorlesung (1515/16)


Ein Schlagwort in Luthers Theologie ist die Verbindung von "Gesetz und Evangelium". Das Gesetz "tötet", "verurteilt" den Menschen, das Evangelium rettet ihn. In dieser Auffassung spiegelt sich auch Luthers Biografie, der wegen des Gesetzes zunächst Gott hasste, um ihn dann nach der reformatorischen Wende umso mehr zu lieben: Unter diesem Gesichtspunkt dürften auch die nachfolgenden Formulierungen zu verstehen sein: "Die Summe dieses Briefes ist: alle Weisheit und Gerechtigkeit des Fleisches ... zu zerstören, auszureißen und zu vernichten (d.h. wie groß sie auch in den Augen der Menschen und vor uns selbst sein mag ...), wie sehr sie auch von Herzen und aufrichtigen Sinnes geübt werden mag; und die Sünde einzupflanzen, aufzurichten und großzumachen (sowenig sie auch vorhanden sein mag bzw. vorhanden zu sein vermutet wurde) ...

Gott will uns nicht durch eigene, sondern durch fremde Gerechtigkeit und Weisheit ... retten, durch eine Gerechtigkeit, die nicht aus uns kommt und geboren wird, sondern die von anderswoher in uns hereinkommt; die nicht unserer Erde entspringt, sondern die vom Himmel kommt [Ps 85,12]. ..."

Neben den Gedanken zum Stichwort "Gesetz und Evangelium" und zur "Fremden Gerechtigkeit" ist für Luther auch die Formulierung "Gerechter und Sünder zugleich - simul justus et peccator" existenziell wichtig. Dazu schreibt er: "Die Heiligen sind inwendig [intrinsece - in den eigenen Augen (!)] immer Sünder; darum werden sie immer außerhalb ihrer selbst [extrinsece - in den Augen Gottes (!)] gerechtfertigt. Die Heuchler aber sind inwendig immer gerecht, darum sind sie außerhalb ihrer selbst immer Sünder." ... "Sein Anrechnen liegt nämlich nicht in uns, auch nicht in unserer Macht. Also liegt auch unsere Gerechtigkeit nicht in uns, auch nicht in unserer Macht, wie Hosea sagt [13,9]: »Du bringst dich ins Unglück, Israel; denn dein Heil steht allein bei mir« (d.h. in dir ist nichts denn Verderben, dein Heil ist außer dir).

»Wundersam ist Gott in seinen Heiligen« [Ps 68,36], vor dem sie zugleich Gerechte und Ungerechte sind [simul sunt iusti et iniusti]. ... Also sind sie in ihren eigenen Augen und in Wirklichkeit ungerecht, bei Gott aber, der sie um des Bekenntnisses ihrer Sünde willen als gerecht ansieht, sind sie gerecht. In Wirklichkeit sind sie Sünder, gerecht durch das gnädige Ansehen Gottes, der sich ihrer erbarmt. Über ihr Wissen hinaus sind sie gerecht, ihrem Wissen nach ungerecht; Sünder in Wirklichkeit, gerecht aber in Hoffnung [peccatores in re, iusti autem in spe]. ..."

Luthers Mitstreiter


Mit seinen neuen Theologischen Ansätzen stand Luther nicht allein. Sein Ordensbeichtvater Johann von Staupitz, der einen engen und persönlichen Kontakt zu Luther hatte und ihn durch die Berufung auf den Wittenberger Lehrstuhl förderte, dürfte ihm relativ schnell gefolgt sein. Andreas Karlstadt, selbst Professor in Wittenberg, schwenkte nach einigem Zögern auf Luthers Linie ein. Später kam es zum Bruch mit Luther, dessen Reformen Karlstadt nicht weit genug gingen. Als enger Weggefährte bis zum Schluss ist noch Philipp Melanchthon zu nennen, der seit 1518 an der Wittenberger Universität lehrte.

Disputation gegen die scholastische Theologie (September 1517)


Nachdem Andreas Karlstadt seinen Angriff gegen die scholastische Theologie gerichtet hatte, unternahm im Herbst 1517 auch Luther solch einen Vorstoß. Seine Thesen sollten als Grundlage für eine Diskussion dienen. Die hier wiedergegebenen Thesen zielen gegen die scholastische Lehrmeinung, der Mensch könne aus freien Stücken sich dem Guten und damit auch Gott zuwenden.

5. Falsch ist, dass >das freie Streben [appetitus] sich nach jeder von zwei entgegengesetzten Richtungen bewegen kann<; vielmehr ist es gar nicht frei, sondern gefangen (gegen die allgemeine Meinung).
6. Falsch ist es, dass >der Wille sich aus seinen natürlichen Kräften [naturaliter] nach dem rechten Befehl [der Vernunft] richten könne; (gegen Scotus und Biel).
7. Sondern ohne die Gnade Gottes >bringt er notwendig einen Akt hervor, der damit nicht übereinstimmt und böse ist<. ...
10. [Einzig] das wird zugelassen, dass >der Wille nicht frei ist, sich allem Guten zuzuwenden, was ihm von der Vernunft gezeigt wird<; (gegen Scotus und Biel). ...
17. Nicht >kann der Mensch aus seinen natürlichen Kräften [naturaliter] wollen, daß Gott Gott ist<; vielmehr möchte er, er wäre Gott und Gott wäre nicht Gott.
18. >Aus natürlichen Kräften Gott über alles lieben< ist eine Formel mit genausoviel Wirklichkeitsbezug wie ein Wunschtraum (gegen die fast allgemeine Meinung).
98. Damit wollen wir nichts sagen, und wir glauben, auch nichts gesagt zu haben, was mit der katholischen Kirche und den Kirchenlehrern nicht übereinstimmen würde.

95 Thesen gegen den Ablass


Die im Oktober 1517 veröffentlichten 95 Thesen gegen den Ablasshandel waren letztendlich der Anfang eines Prozess, der mit der Trennung von der römischen Kirche führte. Diese Trennung aber war nicht das Ziel des Reformators. Er wollte vielmehr seine "katholische", das heißt "allumfassende" Kirche an Haupt und Gliedern erneuern und das heißt reformieren. Da dieses Anliegen bei der römischen Kirchenleitung auf keine Gegenliebe stieß, kam es letztendlich zum Bruch.

In seinen 95 Thesen wandte sich Luther zunächst einmal lediglich gegen den Missbrauch des Ablasshandels, wie er ihn verstand. Ziel war es, dass den Gläubigen Gottes Vergebung auch ohne Gegenleistung zugesprochen werden sollte.

Ob diese Thesen tatsächlich an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt wurden, lässt sich historisch nicht mehr belegen. Klar ist nur, dass sie sich - beflügelt durch das neue Medium des Buchdrucks - rasend schnell in Deutschland verbreiteten.

Thesentür der Wittenberger Schlosskirche (9)

1: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ u.s.w. (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.
2: Dieses Wort kann nicht von der Buße als Sakrament – d. h. von der Beichte und Genugtuung –, die durch das priesterliche Amt verwaltet wird, verstanden werden.
3: Es bezieht sich nicht nur auf eine innere Buße, ja eine solche wäre gar keine, wenn sie nicht nach außen mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches bewirkte.
4: Daher bleibt die Strafe, solange der Hass gegen sich selbst - das ist die wahre Herzensbuße - bestehen bleibt, also bis zum Eingang ins Himmelreich.
7: Gott erlässt Strafen nur denjenigen, die sich dem Papst (Gottes Stellvertreter auf der Erde) unterwerfen.
35–40: Niemand kann Vergebung ohne Reue erhalten; aber wer wirklich bereut, hat Anspruch auf völlige Vergebung – auch ohne bezahlten Ablassbrief.
41–44: Das Kaufen der Ablassbriefe hat nichts mit Nächstenliebe zu tun, auch befreit es nur teilweise von der Strafe. Wichtiger sind gute Werke der Nächstenliebe wie Unterstützung für Arme oder Hilfsbedürftige.

zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/95_Thesen

Beim Konzil von Trient wurde 1562 der Ablasshandel in der römisch-katholischen Kirche verboten und seit 1567 mit der Strafe der Exkommunikation belegt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Ablass)

Luthers reformatorische Hauptschriften 1520

Unter der Internetadresse http://www.1theolexamen.de/kg/kg3/lutherschriften20.pdf findet man eine interessante Zusammenstellung zu Luthers Hauptschriften aus dem Jahr 1520. Leider ist der Verfasser des Dokuments nicht genannt. Ich werde mich im Folgenden auf den Inhalt dieses Dokuments beziehen, ohne dass ich die einzelnen Aussage noch einmal überprüfen kann. Sollte jemandem eine Korrektur nötig erscheinen, so bitte ich um eine kurze Notiz.

An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (Sommer 1520)

An den christlichen Adel deutscher Nation (10)

Im ersten Teil dieser Schrift legt Luther dar, dass es keinen "elitären" geistlichen Stand gibt. Vielmehr sind alle Christen zum "allgemeinen Priestertum", d.h. zum Dienst für Christus in der Welt berufen. Weil der sog. geistliche Stand bei der Reform der Kirche versagt, fordert Luther die Fürsten zum Handeln auf. 

Damit wendet sich Luther gegen die römische Überordnng der geistlichen über die weltliche Macht. Dem Papst spricht er sowohl das Auslegungsmonopol im Blick auf die Heilige Schrift ab als auch das exklusive Recht, ein Konzil einzuberufen. 

Im zweiten Teil der Schrift entfaltet Luther sein Reformprogramm: 
  • Abschaffung des Kirchenstaates und des Zölibats 
  • Reform des Bildungswesens, Umwandlung der Klöster
  • deutsche Nationalkirche unter der Führung des Erzbischofs von Mainz
  • gegen weltliche Mißstände: Luxus, Zinswucher, Trunksucht

De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (Oktober 1520)

Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche (11)

Nur kurze Zeit später, im Oktober 1520, legt Luther seine nächste Schrift vor. Hier setzt er sich mit dem Sakramentsverständnis der römischen Kirche auseinander. Luther versteht die Sakramente als verbum visibile, als sichtbares Wort Gottes. Deshalb fordert er auch, dass zum Zeichen des Sakraments das Verheißungswort Christi, der das Sakrament stiftet, treten muss. Das Sakrament kann nur im Glauben empfangen werden. Es wirkt nicht aus sich selbst heraus (ex opere operato).

Von den in der römischen Kirche sieben Sakramente bleiben schließlich drei bzw. letztendlich nur zwei übrig: Taufe und Abendmahl. Beiden eignet die Einsetzung durch Christus, beiden ein äußeres Zeichen. Bei der Buße ist Luther sich nicht ganz schlüssig, weil diese kein äußeres sichtbares Zeichen hat. 

Firmung, Eheschließung, Priesterweihe und die letzte Ölung sind für Luther keine Sakramente. Allerdings gewinnen sie als Segenshandlung auch und gerade im Leben der evangelischen Christen eine hohe Bedeutung. 

Von der Freiheit eines Christenmenschen (November 1520)

Von der Freiheit eines Christenmenschen (12)

Von der Freiheit eines Christenmenschen war keine Streitschrift, sondern ein Erbauungstraktat. Luther widmetes dieses Buch Leo X.! Es war wohl einer der letzten Versuche, den Papst zu gewinnen und ihn von seiner Rechtgläubigkeit und seinem guten Willen zur Verständigung zu überzeugen. 

Ausgehend von dem Bibelwort 1. Kor 9,19: "Ich bin frei von jedermann und habe mich doch jedem zum Knecht gemacht" verfasst Luther die Grundthese dieser Schrift: 
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan,
und ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Diese Definition christlicher Freiheit bestimmt bis heute das evangelische Selbstverständnis. Durch den Glauben, dass Gott ihm Vergebung der Sünden und damit ein neues Leben schenkt, gewinnt der Christ seine Freiheit, die ihm niemand mehr nehmen kann. Er ist in seinem Tun und Denken einzig und allein dem Dreieinigen Gott verantwortlich. Richtschnur allen menschlichen Handelns bleibt die Heilige Schrift. 

Gleichzeitig wendet sich der Christ in der freiwillige Dienstbarkeit des äußeren Menschen durch die Liebe dem Nächsten zu, nicht um der Seligkeit willen. Der Merksatz kann lauten: "Wie Gott mir, so ich dir!"

Mit dieser Betrachtungsweise bekommt die Person Vorrang vor den Werken: Ein guter, frommer Christ macht gute, fromme Werke (nicht umgekehrt!)

Der Zuspruch Gottes macht frei zu echt guten Werken, weil er von dem Drehen um sich selbst befreit.

Christliche Freiheit bedeutet nun auch Freiheit des Glaubens. Kirchlichen Vorschriften sind Nebensache ohne Heilsbedeutung. Dennoch sind kirchliche Regeln nützlich und aus Liebe zu befolgen, da wichtig für das christliche Gemeinschaftsleben. Luther wendet sich gegen radikale Reformen.

De servo arbitrio 1525

De servo arbitrio (13)

In den Zusammenhang mit Luthers Hauptschriften muss noch das Werk aus dem Jahr 1525 gestellt werden. Luther setzt sich noch einmal mit der wiederholt diskutierten Frage auseinander, "ob der Mensch nach dem Sündenfall die Freiheit behalten habe, sich aus eigener Kraft für die göttliche Gnade zu entscheiden, oder ob diese Entscheidung selbst bereits Geschenk der Gnade sei".

Im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung der römischen Kirche und auch im Gegensatz zur Auffassung der Humanisten - Erasmus von Rotterdam hatte im September 1524 die Schrift De libero arbitrio herausgegeben - bestritt Luther ganz entschieden, "dass der Mensch bezüglich des Willens Gottes einen freien Willen habe, also gegenüber dem, was Heil bewirkt. Über ewiges Heil oder ewige Verdammnis entscheidet allein der souveräne Wille Gottes. Da hat der Mensch keinen freien Willen". (https://de.wikipedia.org/wiki/De_servo_arbitrio)

Viermal "sola ..." - und alles "pro nobis"


All die Überlegungen Luthers laufen auf die Zusammenstellung der so genannten vier "Soli" zu: 
  • sola scriptura 
  • sola fide
  • sola gratia
  • solus Christus
Allein durch die Heilige Schrift, allein durch den Glaubens an die Liebe und Gande Gottes, allein aus eben dieser Gnade Gottes und ohne jegliches Verdienst des Menschen und allein durch Christus, für uns Sünder gestorben und auferstanden, wird dem Christen Vergebung der Schuld, ein neues irdisches Leben und dann schließlich der Himmel bei Gott geschenkt. 

Wo der Glaubende nun in diesen Kreis der vier "Soli" einsteigt ist egal. Wichtig ist, dass es sich bei dieser Beschreibung nicht um einen theologisch richtigen Lehrsatz handelt, der mit dem Verstand angenommen werden soll, sondern um die göttliche Wirklichkeit, die 
  • pro nobis, 
für uns geschehen ist und die nur im Glauben - sola fide - angenommen werden kann.

vgl. dazu die von der devotio moderna geprägte Frömmigkeit
vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Reformation#Grundlagen_reformatorischer_Theologie

Christlicher Glaube im 21. Jahrhundert


Damit das bisher aus der Reformationsgeschichte zusammengestellt Material in der Gegenwart zu den Menschen spricht, muss die Fragestellung geklärt werden, unter der alles betrachtet werden kann. Luther hatte die Frage nach "seinem gnädigen Gott" gestellt. Diese Frage dürfte heute nur noch die wenigsten Christen umtreiben. 

Vielmehr stellt sich in der Gegenwart die Frage, wie Menschen überhaupt einen Zugang zu Gott finden können. Braucht der moderne Mensch noch einen Gott, wie ihn die Bibel bezeugt? Können die Aussagen dieses mehr als 2000 Jahre alten Buches heute Menschen noch ansprechen? Finden die Menschen hier Antworten auf ihre gegenwärtigen Fragen?

Sola Scriptura


In Bindung an die Heilige Schrift - sola scriptura - will ich im Folgenden versuchen, die biblische Geschichte mit der Gegenwart ins Gespräch zu bringen. Dabei beginne ich mit den aus meiner Sicht wichtigsten Stationen aus dem Leben Christi. In der letzten Konsequenz wird es darum gehen, wie wir den Glaubenssatz "für unsere Sünden gestorben und auferstanden" in der Gegenwart deuten können. 

Solus Christus


Nach dem Zeugnis des Markusevangeliums tritt Jesus in der Öffentlichkeit auf, nachdem er von Johannes die Taufe empfangen hatte. "Als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen." 

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Danach kann man Jesu Leben und Wirken mit diesem Summarium beschreiben: "Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk. Und die Kunde von ihm erscholl durch ganz Syrien. Und sie brachten zu ihm alle Kranken, mit mancherlei Leiden und Plagen behaftet, Besessene, Mondsüchtige und Gelähmte; und er machte sie gesund. Und es folgte ihm eine große Menge aus Galiläa, aus den Zehn Städten, aus Jerusalem, aus Judäa und von jenseits des Jordans."

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Dann machten sich Jesus und seine Jünger auf den Weg zum Passafest in Jerusalem. Vor den Toren der Stadt führten seine Jünger "das Füllen zu Jesus und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg, andere aber grüne Zweige, die sie auf den Feldern abgehauen hatten. Und die vorangingen und die nachfolgten, schrien: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt! Hosianna in der Höhe!" (Mk 11,1ff)

Endlich war er da, der langersehnte König, der Messias, der das Heil Gottes und Frieden und Freiheit von der römischen Vorherrschaft bringen würde.

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Und Jesus ging in den Tempel und fing an auszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trage. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker«? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht. Und es kam vor die Hohenpriester und Schriftgelehrten, und sie trachteten danach, wie sie ihn umbrächten. (Mk 11,15ff) 

Die Stimmung schlug um. Sie mussten ihn loswerden, diesen König der Juden, diesen Sohn Gottes. Das merkten alle auf ihre Weise: "Er lehrte mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten." (Mk 1,22) Was die einen begeisterte, verunsicherte die anderen und brachte sie gegen Jesus auf. 

»Warum bist du so zornig? Warum starrst du auf den Boden? Wenn du Gutes im Sinn hast, kannst du den Kopf frei erheben; aber wenn du Böses planst, lauert die Sünde vor der Tür deines Herzens und will dich verschlingen. Du musst Herr über sie sein!« (Gen 4,7) Diesen Text werden wir später noch einmal hören.


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Am Abend kam Jesus mit den Zwölfen. Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich's? Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 

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Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes. (Mk 14,17-25)

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Während Jesus im Garten Getsemane mit seinen Jüngern noch redete, kam herzu Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine Schar mit Schwertern und mit Stangen, von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten und Ältesten. Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen genannt und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist's; den ergreift und führt ihn sicher ab. Und als er kam, trat er alsbald zu ihm und sprach: Rabbi!, und küsste ihn. Die aber legten Hand an ihn und ergriffen ihn. (Mk 14,43-46)

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Sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelstätte. Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und es stand über ihm geschrieben, welche Schuld man ihm gab, nämlich: Der König der Juden. 

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Schrift auf dem Schild:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Titulus.gif?uselang=de

Und die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Ha, der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir nun selber und steig herab vom Kreuz! 

Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? ... Jesus schrie laut und verschied. (Mk 15,22-37

INRI



Das Tragen des Titels „König der Juden“, den alle evangelischen Textvarianten gemeinsam überliefern, hatten die Römer jüdischen Herrschern seit dem Tod Herodes des Großen 4 vor Chr. bis 37 nach Chr., dem Ende der Amtszeit des Pilatus als Statthalter Judäas strikt untersagt, da sie Judäa in dieser Zeit zusammen mit Idumäa und Galiläa direkt verwalteten. Der jüdische Historiker Flavius Josephus berichtet von „Königen“, die viele judäische Rebellen anführten (Antiquitates 17,283-285). Der römische Feldherr Varus habe aufständische Juden, die den Königstitel beanspruchten, um 6 n. Chr. in großer Zahl kreuzigen lassen (Bellum Judaicum 2,75). Der Rechtsgrund dafür war das von Kaiser Augustus erlassene Majestätsgesetz lex Iulia de maiestate, wonach der Anspruch auf eine Königswürde in römischen Provinzen ohne kaiserliche Erlaubnis als Aufruhr (seditio, perduellio) und Angriff auf den Kaiser selbst (crimen laesae maiestatis) galt. Dies war seit der Amtszeit von Kaiser Tiberius (14-37 n. Cr.) mit Kreuzigung zu ahnden. (https://de.wikipedia.org/wiki/INRI#Historischer_Hintergrund)

Es war ein politisches Verfahren. Jesu Hinrichtung statuierte für Judäer, Galiläer und nicht zuletzt die Nachkommen Herodes des Großen ein Exempel, sich mit der von Rom gewährten nichtköniglichen Verwaltungsstruktur zu bescheiden. (Martin Karrer, Neutestamentler - ebd.)

Religiöse Intoleranz und autoritäre Macht, die nichts anderes neben sich dulden wollen und dulden können, bringen den Sohn Gottes an Kreuz und in den Tod - religiöse Intoleranz und autoritäre Macht bedeuten bis heute für jeden Menschen den Tod. Wir erleben es in der Gegenwart mit aller Deutlichkeit im Nahen Osten, in der arabischen Welt, im Irak, in Afghanistan, in Afrika und an vielen anderen Orten unserer Erde.

Erst im Licht der Auferstehung ändert sich alles. Nicht der Tod behält das letzte Wort, sondern Gott!

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Und allen, die ihm vertrauen, die an ihn glauben, verheißt der Auferstandene:

Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.
Apg 1,8 

Die Schöpfung


Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. ... Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. (Gen 1)

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Allein diesen Gedanken auszusprechen, dass Gott Himmel und Erde geschaffen hat, wirkt heute befremdlich. Sind wir nicht weiter als die Menschen der Bibel? Wissen wir nicht, dass die Entstehung des Weltalls ihren Ursprung im Urknall hat und dass sich das leben auf der Erde nach den Gesetzen der Evolution entwickelte? Ja, natürlich! Und dem widerspricht die bibel auch gar nicht. Die Bibel sagt nur, dass es Gott war, der diesen Prozess wollte, dass es Gott ist, der alles begleitet.

Wer Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde und damit auch als Schöpfer seiner selbst bekennt, der wir den Auftrag Gottes aus dem 1. Buch Mose auch nicht missbrauchen: "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan ..." (Gen 1,28) Gott sagt, dass wir die Erde gebrauchen dürfen, aber nicht dass wir sie bis aufs letzte ausbeuten und mit Füßen treten sollen.

An dieser Stelle kann noch einmal auf eine Passage Luthers in der Pslamvorlesung zu Pslam 51,6f verwiesen werden: "... Dagegen ist der Gottlose und Übermütige zuerst einer, der sich entschuldigt, verteidigt, rechtfertigt und zu retten sucht. Daher sagt er eben damit, er bedürfe Gottes als Retter nicht ..."

Die Ursünde

Nach der Erzählung von der Schöpfung kommt die Bibel auf die Sünde der Menschen zu sprechen. Es geht nicht um Adam und Eva oder Kain und Abel oder um Noah und seine Familie als Einzelpersonen. Vielmehr beschreibt die Urgeschichte in den ersten elf Kapitel der Bibel das typisch Menschliche. Wer unser Sein in dieser Welt und vor Gott verstehen will, sollte sich mit diesen Abschnitt der Heiligen Schrift intensiv auseinandersetzen, auch wenn es heute nicht mehr angemessen erscheint, von der Sünde des Menschen zu sprechen. Aber vielleicht liegt genau hier eines unserer Hauptprobleme.

Vom Fall im Paradies - sein wollen wie Gott ...

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Die Schlange war das klügste von allen Tieren des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie fragte die Frau: »Hat Gott wirklich gesagt: ›Ihr dürft die Früchte von den Bäumen im Garten nicht essen‹?« »Natürlich dürfen wir sie essen«, erwiderte die Frau, »nur nicht die Früchte von dem Baum in der Mitte des Gartens. Gott hat gesagt: ›Esst nicht davon, berührt sie nicht, sonst müsst ihr sterben!‹« »Nein, nein«, sagte die Schlange, »ihr werdet bestimmt nicht sterben! Aber Gott weiß: Sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen; ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und was schlecht ist. Dann werdet ihr euer Leben selbst in die Hand nehmen können.« Die Frau sah den Baum an: Seine Früchte mussten köstlich schmecken, sie anzusehen war eine Augenweide und es war verlockend, dass man davon klug werden sollte! Sie nahm von den Früchten und aß. Dann gab sie auch ihrem Mann davon und er aß ebenso. Da gingen den beiden die Augen auf und sie merkten, dass sie nackt waren. Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Lendenschurze. (Gen 3,1-7 - Gute Nachricht)

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Der entscheidende Satz in diesem Abschnitt ist die Verlockung der Schlange: "Sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen; ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und was schlecht ist. Dann werdet ihr euer Leben selbst in die Hand nehmen können."

Dieses Bestreben, so sein wollen wie Gott, ist die Ursünde des Menschen. Luther formulierte einen ähnlichen Gedanken in der 17. These gegen die Scholastische Theologie so: "Nicht >kann der Mensch aus seinen natürlichen Kräften [naturaliter] wollen, dass Gott Gott ist<; vielmehr möchte er, er wäre Gott und Gott wäre nicht Gott." (s.o.)

Dieses Bestreben ist jedem Menschen quasi eingepflanzt - hier kann auch der Begriff "Erbsünde" verwendet werden - und kommt in dem Moment zum Zuge, wo sich der Mensch seiner selbst und wo er sich Gottes als seines Gegenübers bewusst wird. Das bedeutet, dass die Ursünde auf ein gewisses Reflexionsvermögen des Menschen voraussetzt. Kleine Kinder und Menschen, die sich auf Grund eines Handicaps nicht sich selbst reflektieren können, sind dieser Sünde nicht ausgesetzt. Aus dieser Ursünde erwachsen aber auch alle anderen Tatsünden.

Am Ende dieser Geschichte stellt Gott fest: »Nun ist der Mensch wie einer von uns geworden und weiß, was gut und was schlecht ist. Es darf nicht sein, dass er auch noch vom Baum des Lebens isst. Sonst wird er ewig leben!« Und er schickte den Menschen aus dem Garten Eden weg, damit er den Ackerboden bearbeite, aus dem er gemacht war. So trieb Gott, der Herr, die Menschen hinaus und stellte östlich von Eden die Keruben und das flammende Schwert als Wächter auf. Niemand sollte zum Baum des Lebens gelangen können. (Gen 3,22-24 - Gute Nachricht)

Warum soll der Mensch nicht ewig leben? Ist Gott eifersüchtig? Keineswegs, aber Gott weiß, wenn der Mensch ein Unsterblichkeitsgen findet, dann wird es keine Entwicklung mehr geben, dann kommt es zur Auseinandersetzung über die Frage, wer leben darf und wer sterben muss.

Kain und Abel - Du musst Herr über die Sünde sein!

Adam und Eva müssen das Paradies verlassen und sich selbst versorgen, mit Ackerbau und Viehzucht. Eva wird schwanger und bekommt zwei Söhne: Kain und Abel. Die beiden werden groß und entwickeln unterschiedliche Interessen. Kain interessiert sich für die Landwirtschaft, Abel für die Viehzucht. Dann kommt es zu einer verhängnisvollen Situation.

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Einmal brachte Kain von seinem Ernteertrag dem Herrn ein Opfer. Auch Abel brachte ihm ein Opfer; er nahm dafür die besten von den erstgeborenen Lämmern seiner Herde.Der Herr blickte freundlich auf Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer schaute er nicht an.

Da stieg der Zorn in Kain hoch und er blickte finster zu Boden. Der Herr fragte ihn: »Warum bist du so zornig? Warum starrst du auf den Boden? Wenn du Gutes im Sinn hast, kannst du den Kopf frei erheben; aber wenn du Böses planst, lauert die Sünde vor der Tür deines Herzens und will dich verschlingen. Du musst Herr über sie sein!«

Kain aber sagte zu seinem Bruder Abel: »Komm und sieh dir einmal meine Felder an!« Und als sie draußen waren, fiel er über seinen Bruder her und schlug ihn tot. (Gen 4,3-8 - Gute Nachricht)

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Es ist offensichtlich der Neid und die Missgunst, die Kain zu dieser Tat veranlassen. Er kann es nicht ertragen, dass sein Opfer scheinbar nicht akzeptiert wird. Doch das ist nur seine eigene Einschätzung. Gott hat Kain schon im Blick, sonst würde er ihn nicht ansprechen und versuchen, ihn auf eine andere Bahn zu lenken.

Wie gehen Menschen mit ihrer Sünde um?

Typisch menschlich - sie wollen die eigene Verantwortung nicht wahrhaben und schieben die Schuld anderen zu, ja selbst Gott kommt da nicht ungeschoren davon. Noch einmal kann hier Luthers Ausführung zum 51. Psalm zitiert werden: "Dagegen ist der Gottlose und Übermütige zuerst einer, der sich entschuldigt, verteidigt, rechtfertigt und zu retten sucht. Daher sagt er eben damit, er bedürfe Gottes als Retter nicht ..."

Adam und Eva

Am Abend, als es kühler wurde, hörten der Mensch und seine Frau, wie Gott, der Herr, durch den Garten ging. Da versteckten sie sich vor Gott zwischen den Bäumen. Aber Gott rief nach dem Menschen: »Wo bist du?« Der antwortete: »Ich hörte dich kommen und bekam Angst, weil ich nackt bin. Da habe ich mich versteckt!« »Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?«, fragte Gott. »Hast du etwa von den verbotenen Früchten gegessen?« Der Mensch erwiderte: »Die Frau, die du mir an die Seite gestellt hast, gab mir davon; da habe ich gegessen.« Gott, der Herr, sagte zur Frau: »Was hast du da getan?« Sie antwortete: »Die Schlange ist schuld, sie hat mich zum Essen verführt!« (Gen 3,8-13 - Gute Nachricht)

Kain

Mit Kain spricht Gott zweimal, zunächst vor dem Mord und dann danach. Offensichtlich hatte Gott erkannt, dass es Kain nach dem Opfer nicht gut ging. Deshalb wollte er ihm eine Chance zum Reden geben. Doch Kain lässt diesen Moment ungenutzt verstreichen und geht auf Gottes Einwurf nicht ein. Vielmehr verfolgt er seine Mordpläne: »Komm, mein Bruder, und sieh dir einmal meine Felder an!«.

Nach dem Mord spricht Gott ein zweites Mal mit Kain. Er fragt ihn: »Wo ist dein Bruder Abel?« »Was weiß ich?«, antwortete Kain. »Bin ich vielleicht der Hüter meines Bruders?« - Wie Adam und Eva kann Kain nicht zu seiner Tat stehen. - »Weh, was hast du getan?«, sagte der Herr. »Hörst du nicht, wie das Blut deines Bruders von der Erde zu mir schreit? Du hast den Acker mit dem Blut deines Bruders getränkt, deshalb stehst du unter einem Fluch und musst das fruchtbare Ackerland verlassen. Wenn du künftig den Acker bearbeitest, wird er dir den Ertrag verweigern. Als heimatloser Flüchtling musst du auf der Erde umherirren.« Kain sagte zum Herrn: »Die Strafe ist zu hart, das überlebe ich nicht! Du vertreibst mich vom fruchtbaren Land und aus deiner schützenden Nähe. Als heimatloser Flüchtling muss ich umherirren. Ich bin vogelfrei, jeder kann mich ungestraft töten.« Der Herr antwortete: »Nein, sondern ich bestimme: Wenn dich einer tötet, müssen dafür sieben Menschen aus seiner Familie sterben.« Und er machte an Kain ein Zeichen, damit jeder wusste: Kain steht unter dem Schutz des Herrn. Dann musste Kain aus der Nähe des Herrn weggehen. Er wohnte östlich von Eden im Land Nod. (Gen 4,9-16 - Gute Nachricht)

Gottes Reaktion auf das Verhalten der Menschen

Das Verhalten der Menschen, die sich nicht an Gottes Gebote halten, hat durchaus Konsequenzen. Aber es ist nicht der von der Schlange angedrohte Tod. Die schuldigen Menschen müssen die heilbringende Nähe Gottes verlassen, Adam und Eva das Paradies, Kain die Heimat. Aber alle können weiterleben.

Die Menschheit - das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend an ...

Die Menschen begannen sich zu vermehren und sich über die Erde auszubreiten. … Der Herr aber sagte: »Ich lasse meinen Lebensgeist nicht für unbegrenzte Zeit im Menschen wohnen, denn der Mensch ist schwach und anfällig für das Böse. Ich begrenze seine Lebenszeit auf 120 Jahre.« ...

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Der Herr sah, dass die Menschen auf der Erde völlig verdorben waren. Alles, was aus ihrem Herzen kam, ihr ganzes Denken und Planen, war durch und durch böse. Das tat ihm weh, und er bereute, dass er sie erschaffen hatte. Er sagte: »Ich will die Menschen wieder von der Erde ausrotten – und nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere auf der Erde, von den größten bis zu den kleinsten, und auch die Vögel in der Luft. Es wäre besser gewesen, wenn ich sie gar nicht erst erschaffen hätte.«

Noah war der Einzige, der vor den Augen des Herrn bestehen konnte. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen war er ein rechtschaffener, durch und durch redlicher Mann; er lebte in enger Verbindung mit Gott. Er hatte drei Söhne: Sem, Ham und Jafet.

Alle anderen Menschen konnten vor Gott nicht bestehen … Wohin er auch sah: überall nichts als Verdorbenheit. Denn die Menschen waren alle vom rechten Weg abgekommen.

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Da sagte Gott zu Noah: »Mit den Menschen mache ich ein Ende. Ich will sie vernichten samt der Erde; denn die Erde ist voll von dem Unrecht, das sie tun. Bau dir ein Schiff, eine Arche. Mach sie aus festem Holz und dichte sie innen und außen mit Pech ab. ... Ich werde eine Flut über die Erde hereinbrechen lassen, in der alles Lebendige umkommen soll. … Mit dir aber schließe ich meinen Bund. Ich verspreche dir: Du sollst gerettet werden. Geh mit deiner Frau, deinen Söhnen und deinen Schwiegertöchtern in die Arche! Nimm von allen Tieren ein Männchen und ein Weibchen mit, damit sie mit dir gerettet werden. Von jeder Tierart sollst du ein Paar in die Arche bringen, damit sie am Leben bleiben, alle Arten von Landtieren und Vögeln.«

Sieben Tage später kam die große Flut über die Erde. Es öffneten sich die Schleusen des Himmels und die Quellen der Tiefe brachen von unten aus der Erde hervor. Vierzig Tage und vierzig Nächte lang regnete es von da an in Strömen auf die Erde. … Da starb alles, was auf der Erde lebte und sich regte: Vögel, zahme und wilde Tiere, all die kleinen Tiere, von denen es auf der Erde wimmelte, und alle Menschen.

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Da dachte Gott an Noah und an all die Tiere, die bei ihm in der Arche waren. … So fiel das Wasser nach hundertfünfzig Tagen. Am 17. Tag des 7. Monats setzte die Arche auf einem Gipfel des Araratgebirges auf. ... Nach vierzig Tagen öffnete Noah die Dachluke, die er gemacht hatte, und … ließ eine Taube fliegen, um zu erfahren, ob das Wasser von der Erde abgeflossen war. Sie fand aber keine Stelle, wo sie sich niederlassen konnte ... Er wartete noch einmal sieben Tage, dann ließ er die Taube zum zweiten Mal fliegen. Sie kam gegen Abend zurück und hielt einen frischen Ölbaumzweig im Schnabel. … Er wartete noch einmal sieben Tage, dann ließ er die Taube zum dritten Mal fliegen. Diesmal kehrte sie nicht mehr zurück. ...

Da sagte Gott zu Noah: »Verlass die Arche mit deiner Frau, deinen Söhnen und deinen Schwiegertöchtern! Lass auch alle Tiere hinaus ... Es soll wieder von ihnen wimmeln auf der Erde; sie sollen fruchtbar sein und sich vermehren auf der Erde.«

Da ging Noah mit seiner Familie aus der Arche, und auch die Tiere kamen heraus, alle die verschiedenen Arten. Noah baute einen Opferaltar für den Herrn.

Der Herr roch den besänftigenden Duft des Opfers und sagte zu sich selbst: »Ich will die Erde nicht noch einmal bestrafen, nur weil die Menschen so schlecht sind! Alles, was aus ihrem Herzen kommt, ihr ganzes Denken und Planen, ist nun einmal böse von Jugend auf. Ich will nicht mehr alles Leben auf der Erde vernichten, wie ich es getan habe.

Von jetzt an gilt, solange die Erde besteht:

Nie werden aufhören Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.«

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Turmbau zu Babel

Leider verstanden die Menschen Gottes Güte nicht. Sie sagten: »Ans Werk! Wir bauen uns eine Stadt mit einem Turm, der bis an den Himmel reicht! Dann wird unser Name in aller Welt berühmt. Dieses Bauwerk wird uns zusammen- halten, sodass wir nicht über die ganze Erde zerstreut werden.« Hochmut kommt vor dem Fall. Dieses Wort bewahrheitete sich auch hier. Keiner verstand den anderen mehr. Und genau das, was sie befürchteten, passierte: die Menschheit wurde über die ganze Erde verteilt.

Skyline von Frankfurt am Main

Menschliche Hauptlaster

Wenn es sie gibt, dann sind diese Laster genau an dieser Stelle zu nennen:
  1. Superbia - Hochmut (Stolz, Eitelkeit, Übermut)
  2. Avaritia - Geiz (Habgier)
  3. Luxuria - Wollust (Ausschweifung, Genusssucht, Begehren)
  4. Ira - Zorn (Wut, Rachsucht)
  5. Gula - Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht)
  6. Invidia - Neid (Eifersucht, Missgunst)
  7. Acedia - Faulheit (Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens)
Wenn diese Laster den Menschen gepackt halten, dann haben sie ihn ganz und gar in der Hand. Die Unterscheidung in lässliche und in Todsünden würde Luther nicht vornehmen können. Er würde wohl auch nicht dem Satz von Papst Johannes Paul II. zustimmen, der die Vorstellung von der Todsünde 1984 so konkretisierte: "Die Lehre der Kirche nennt »denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewusst und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht«". (https://de.wikipedia.org/wiki/Tods%C3%BCnde) Im Anschluss an Luther wird man sagen müssen: Sünde ist Sünde, und die hat den Menschen ganz und gar im Griff.

Hieronymus Bosch (1450–1516): Die Sieben Todsünden;
in den Ecken: Die vier letzten Dinge

Unter dem Stichwort "Freier Wille" findet man bei Wikipedia diese Gedanken: "Die verfassungsrechtliche Leitidee der Menschenwürde (Art. 1 I Grundgesetz, auch Art. 1 der Grundrechtecharta der Europäischen Union) beruht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auf der Entscheidungsfreiheit: „Dem Schutz der Menschenwürde liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig–sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten.“ Aus diesem Ansatz leitet das Bundesverfassungsgericht dann auch den Verfassungsrang des, jedenfalls für das deutsche Strafrecht maßgeblichen, Schuldprinzips ab. (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille)

Nach dem, was wir bisher in der Bibel gelesen haben und nach dem, was Luther über den so genannten "Freien Willen" im Anklang an die Heilige Schrift sagt, wage ich es, die Vorstellung "vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen ..., das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten“ in Frage zu stellen. Wenn der Mensch an sich sein Leben und das der anderen und der Welt verantwortungsvoll selbst in die Hand nehmen und gestalten könnte, dann dürfte es nicht die Probleme in der Welt geben, mit denen wir zur Zeit zu kämpfen haben. 

Sola Gratia


Auf diese Verfallenheit an die Sünde, an die Macht, die den Menschen von Gott trennt, antwortet Gott allein aus Gnade, so gratia! Nur so kann der Mensch die Gewissheit, das Vertrauen erlangen, dass er zu Gott kommen kann. Wenn menschliche Leistungen eine Rolle spielen sollten, müsste der Mensch schier verzweifeln. 

Erwählung Abrahams


Aus freien Stücken erwählt Gott aus der gesamten Völkerwelt Abraham. An diesen einen Menschen bindet er sich und verspricht ihm: "Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte." (Gen 12,1-4)

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Abraham vertraut dem Versprechen Gottes und macht sich auf den Weg. Gleichzeitig ist Gottes Gabe, Gottes Segen für Abraham auch eine Aufgabe: "... du sollst ein Segen sein ... in dir sollen gesegnet sein alle Geschlechter auf Erden ..." Daran wird das Volk Israel sich später messen lassen müssen. Und auch an uns Christen richtet Gott letztendlich die Frage, wo wir ein Segen sind für die Welt. 

Gottes Zehn Gebote für das Leben in der Freiheit


Nach einem langen Weg durch die Geschichte kommt das Volk Israel zum Berg Sinai, wo Gott seinem Volk die Zehn Gebote als Regeln für das Zusammenleben in Freiheit gibt.

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  1. Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. 
  2. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! 
  3. Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. 
  4. Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. 
  5. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird. 
  6. Du sollst nicht töten. 
  7. Du sollst nicht ehebrechen. 
  8. Du sollst nicht stehlen. 
  9. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. 
  10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.
Die Bibel erzählt, dass sich die Menschen zu den Geboten oft so verhielten wie die Menschen im Paradies es im Blick auf das eine Gebot getan hatten. Gott hatte ihnen gesagt: "Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen ..." (Gen 2,16f) Die Menschen jedoch folgten den Einflüsterungen der Schlange: »... ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und was schlecht ist. Dann werdet ihr euer Leben selbst in die Hand nehmen können.«

Im Blick auf die Gebote könnte es heißen: »Hat Gott euch wirklich so viele Vorschriften gemacht? Traut er euch denn gar nichts zu? Traut ihr euch denn gar nichts zu? Ihr seid doch wie Gott geworden und wisst, was gut und was schlecht ist. Nehmt das Leben doch selbst in die Hand!« Über solch ein Verhalten sagt die Bibel: "Und er tat, was dem HERRN missfiel, und ließ nicht ab von allen Sünden ..." 

Die Propheten


Gott ließ seine Menschen nicht allein. Durch seine Propheten - Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum. Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi und all die anderen, denen kein biblisches Buch zugeordnet wurde - durch das göttliche Wort im Mund dieser Menschen wollte Gott sein Volk immer wieder auf den rechten Weg locken. Eines der berührendsten Worte finden wir beim Propheten Micha im 6. Kapitel:

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Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, 
nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Also hat Gott die Welt geliebt ...

Da sich das Verhalten des Menschen auf all diesen Wegen nicht grundlegend veränderte, blieb Gott in der Mitte der Zeiten nur ein Weg, den der Evangelist Johannes so beschreibt:

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Also hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen eingeborenen Sohn gab, 
damit alle, die an ihn glauben, 
nicht verloren werden, 
sondern das ewige Leben haben.
(Joh 3,16)

SOLA GRATIA - SOLA FIDE - SOLA SCRIPTURA - SOLUS CHRISTUS - PRO NOBIS

Quellen, Literatur

Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd.II, Mittelalter, Volker Leppin (Hg.) / Bernhard Lohse (Hg.) / Adolf Martin Ritter (Hg.) 
Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd.III, Reformation (Hg.) 
http://www.1theolexamen.de/kg/kg3/lutherschriften20.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/95_Thesen
https://de.wikipedia.org/wiki/Ablass
https://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCder_vom_gemeinsamen_Leben
https://de.wikipedia.org/wiki/Deduktion
https://de.wikipedia.org/wiki/Devotio_moderna
https://de.wikipedia.org/wiki/Fegefeuer
https://de.wikipedia.org/wiki/Kanonisches_Recht
https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther
https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtswissenschaft
https://de.wikipedia.org/wiki/Reformation
https://de.wikipedia.org/wiki/Reliquie
https://de.wikipedia.org/wiki/Scholastik
https://de.wikipedia.org/wiki/Syllogismus
https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/luther-roem1.htm Universität Duisburg-Essen, Institut für Evangelische Theologie

Bildnachweis

(1) Martin Luther
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Lucas Cranach the Elder [Public domain], via Wikimedia Commons

(2) Martin Luthers Eltern
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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/00/Hans_and_Magrethe_Luther.jpg
Lucas Cranach the Elder [Public domain], via Wikimedia Commons

(3) Das Collegium Maius, ehemaliger Sitz der 1392 gegründeten Universität in Erfurt

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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/Erfurt-Collegium_Maius_von_Suedosten-20120901.jpg
By Mylius (Own work) [GFDL 1.2 (http://www.gnu.org/licenses/old-licenses/fdl-1.2.html) or FAL], via Wikimedia Commons

(4) Syllogismus
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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/Syllogismus-Beispiel.svg
By René Schwarz, Originator: GottschallCh [GFDL or CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

(5) Deduktion und Induktion 
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WissensDürster [Public domain], via Wikimedia Commons

(6) Fegefeuer-Darstellung
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By Peter Schmelzle (Own work (Eigenes Foto)) [GFDL or CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons


(7) Beispiel für Reliquien: Sandalen Jesu, Abtei Prüm (Eifel)
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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6b/6-Reliquie_der_Sandalen_v.Jesus-k.jpg
By No machine-readable author provided. Mrfinch~commonswiki assumed (based on copyright claims). [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

(8) Papst Leo X

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Raphael [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons

(9) Thesentür der Wittenberger Schlosskirche
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By AlterVista (DE:wiki) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

(10) An den christlichen Adel deutscher Nation
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(11) Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche
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By uploader User:ims (http://www.loc.gov/exhibits/dres/dres3.html) [Public domain], via Wikimedia Commons

(12) Von der Freiheit eines Christenmenschen
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By Wolfgang Sauber (Own work) [GFDL or CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

(13) De servo arbitrio
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