Donnerstag, 15. Dezember 2016

Jesus Christus - Gottes Antwort auf die Erbsünde

Seit November 2016 bringt die Neue Osnabrücker Zeitung im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum 2017 wöchentlich einen ganzseitigen Beitrag zu kirchlichen Themen. Am 5. Dezember 2016 wurde unter der reißerischen Überschrift "Kritik an der Ajatolloh-Kirche" ein "Interview" mit Heiner Geißler abgedruckt, wo der Politiker seine Sicht auf das Reformationsjahr vortragen konnte.

Online findet man den Artikel hier: http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/814172/geissler-kirchen-koennen-nur-gemeinsam-elend-auf-der-welt-mindern Bezeichnender Weise wurde die Überschrift der Printausgabe geändert. So heißt es im Internet "POLITIKER FORDERT ENDE DER SPALTUNG - Geißler: Kirchen können nur gemeinsam Elend auf der Welt mindern". Hätte der Politiker diesen berechtigten Gedanken aus seiner Sicht weiter entwickelt, so hätte man ihm vielleicht folgen können.

Geißler aber holte zum Schlag aus und warf den beiden großen Volkskirchen "Häresie" vor. Dabei verstieg er sich zu der Forderung, die Kirchen hätten die Rechtfertigungslehre zu revidieren, weil diese keine biblische Begründung hätte. Das, was Geißler dann als Begründung seiner Ansichten anführte, entbehrte jeder Grundlage und Kenntnis der biblischen Geschichten und der theologischen Auslegung.

Mit der nachfolgenden Einleitung schrieb ich am gleichen Tag noch einen zweiseitigen "Leserbrief" an die Neue Osnabrücker Zeitung.

Sehr geehrte Damen und Herren, 

dem Artikel "Kritik an der Ajatollah-Kirche" in der heutigen Ausgabe der Meppener Tagespost (S. 5), in dem Heiner Geißler seine Ansichten zu kirchlichen Themen vortragen konnte, muss widersprochen werden. Heiner Geißler hat keinerlei Kompetenzen über die kirchliche Lehre von Sünde und Vergebung und über die Rechtfertigungslehre sich zu äußern. Sie finden meine Kritik im Anhang. Es war mir nicht möglich, sie kürzer zu fassen. Aber immerhin haben Sie Geißler für seine Meinungsäußerungen ja auch eine ganze Seite mit großer Überschrift eingeräumt. 

Mit freundlichen Grüßen, Ralf Krüger, P.

Meinen Gedanken hatte ich als Replik auf die Überschrift in der Zeitung den Titel gegeben:

Antwort aus der Kirche Jesu Christi

Unter der Überschrift “Kritik an der Ajatollah-Kirche” durfte der Politiker Heiner Geißler in der äußeren Form eines Interviews seine Vorstellungen zum Reformationsjubiläum vortragen. Den Äußerungen des Politikers, den ich sonst gerade wegen seiner unbequemen Art sehr schätze, muss energisch widersprochen werden. Er bezichtigt die evangelische und die katholische Kirche der “Häresie, der Ketzerei” und meint, die Rechtfertigungslehre sei biblisch nicht begründbar und die Erbsünde naturwidrig. Diese Aussagen sind absurd und zeugen davon, dass Heiner Geißler hier über keinerlei Kenntnisse und Kompetenzen verfügt.

Erbsünde: Ja, sie gibt es - nein, sie hat nichts dem Geschlechtsverkehr oder mit Sex zu tun - und Adam und Eva als Ur-Elternpaar der Menschheit ... Was meint Heiner Geißler eigentlich, was in den Kirchen heute gelehrt wird? Für die lutherische Kirche kann ich sagen: Diese Vorstellung ganz bestimmt nicht!

Bei Adam und Eva beginnen ...

Nichtsdestotrotz müssen wir “bei Adam und Eva anfangen”, um am Schluss auch auf die Rechtfertigungslehre sprechen zu kommen. Diese beiden biblischen Figuren sind eben nicht biologischen “Ur-Eltern”, sondern sie bilden die “typischen Menschen” ab, wie der Mensch sich typischerweise verhält. Mit dem Garten Eden gibt Gott den Menschen einen Lebensraum, den sie bebauen und bewahren sollen, aber auch nutzen dürfen. Nur von zwei Bäumen sollen sie nicht essen. Was machen diese beiden typischen Menschen - genau diese beiden Bäume geraten in den Blick; wie bei kleinen Kindern, denen man sagt: Tu es nicht.

Ihr werdet sein wie Gott ...

Was dann passiert, hat mit Sexualität weniger als nichts zu tun. Die Schlange als Sinnbild für die Macht, die den Menschen von Gott weglockt, wendet sich an Eva - nebenbei: mit der muss sie noch diskutieren, während Adam sofort ohne Bedenken zubeißt. Die Schlage flüstert Eva ein: Wenn ihr von dem Baum esst, werdet ihr sein wie Gott. Das ist der Schlüsselsatz, der die Begierde des Menschen beschreibt: Er will sein wie Gott, nicht Geschöpf, das sich einordnet, sondern Schöpfer, dem alles untergeordnet ist. Wer sich heute in der Welt umschaut, wird doch genau diese Begierde im Menschen wiederfinden, dass er sein will wie Gott, dass er meint, sein Leben und diese Welt alleine gestalten zu können. Wohin das führt, sehen wir.

Wenn ich über diese Begierde mit Zeitgenossen diskutiere, vergleiche ich sie mit der Pubertät. In dieser Zeit müssen Jugendliche zwangsläufig gegen ihre Eltern und gegen Obrigkeit rebellieren. Das gehört zu einer gesunden Entwicklung dazu und zieht sich durch alle Zeiten. Man lese einmal nach, was der Philosoph Sokrates (* um 469 vChr, † 399 vChr) über die Jugend sagt: “Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.”

Erbsünde als notwendiger Ablösungsprozess von Gott ...

Wenn diese Zeit der Rebellion aber durchlebt ist und wenn alles einen guten Verlauf genommen hat, finden Kinder und Eltern wieder zu einem guten und ein Leben lang tragfähigen Verhältnis zueinander. So ist das aus meiner Sicht auch mit der Begierde, so sein zu wollen wie Gott. Diesen Ablösungsprozess von Gott durchlaufen alle Menschen, müssen sie zwangsläufig durchlaufen - deshalb kann man von einer “Erbsünde” sprechen, die von einer auf die nächste Generation vererbt wird. Gott will aber, dass wir den Weg zu ihm zurückfinden. Er setzt das nicht mit Zwang und Strafen durch, er wendet sich vielmehr immer wieder in Liebe an seine Menschen.

Jesus Christus - Gottes Antwort auf die Erbsünde ...

Die theologisch wichtige Zeit des Alten Testaments - Israel, Gebote, Propheten etc. - überspringe ich und komme gleich zu Jesus Christus, von dem wir glauben, dass er der Sohn Gottes ist - aber nicht im biologischen Sinn. Dieser Jesus hat gezeigt, wie Leben vor Gott und miteinander gelingen kann. Diese Lebensweise hat er so beschrieben: “Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Markus 12,29-31)

Dreimal spricht Jesus von der Liebe:

  • die Liebe zu Gott
  • die Liebe zum Nächsten
  • die Liebe zu sich selbst

Wenn das in einem ausgewogenen Verhältnis steht, wird persönliches und gesellschaftliches Leben gelingen.

Religiöse Engführung und politischer und militärischer Absolutheitsanspruch ...

Die damaligen Eliten wollten das Auftreten und das Vorbild Jesu aber nicht gelten lassen. Der jüdische Hoherat lehnte seine Auslegung der Heiligen Schriften ab, denn “er lehrte mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten” (Mk 7,29). Die römische Besatzungstruppe meinte, dieser “König der Juden” könnte ihnen militärisch und politisch gefährlich werden. Dabei hatte er doch deutlich gesagt: “Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!” (Mk 12,17) In dieser Gemengelage aus politischem Absolutheitsanspruch und religiöser Engführung wurde das Todesurteil über Jesus gesprochen. Und damit setzten sich die Verantwortlichen über den Willen Gottes hinweg, der seinen Sohn in die Welt gesandt hatte, damit Leben gelingt. “Ihr werdet sein wie Gott …”

Gott schenkt Leben ...

Doch für Gott war das nicht der Schlusspunkt. Es ist das Zentrum, das Fundament christlichen Glaubens, dass Gott seinen Sohn am dritten Tage auferweckte von den Toten, dass Gott mit diesem Wunder das Leben und Handeln seines Sohnes bestätigte und damit deutlich machte: Ein “gottloses” Leben kennt nur ein Ziel hat, den Tod. Und das gilt nicht nur für die Zeit Jesu, das gilt auch ganz offenkundig für alle Zeiten und alle Religionen: Wo religiöser Fanatismus und militärische Gewalt sich verbünden, da herrscht Tod und Verderben, da herrscht die Sünde!

Wenn wir Christen diesen Zusammenhang anerkennen, wenn wir glauben, dass Christus für unsere Sünde bzw. durch menschliche Sünde gestorben ist, dass Gott uns dies aber vergibt, dass er Christus von den Toten auferweckte und uns damit ein Bild gelungenen menschlichen Lebens in dieser Welt vor Augen stellt, dann sagen die Schriften des Neuen Testament, dass uns dieser Glaube als Gerechtigkeit angerechnet wird, dass Gott uns gerecht spricht und wir befreit von der Sünde, von der Begierde, so sein zu wollen wie Gott, im Frieden mit Gott und dem Nächsten leben können. Aus diesem Glauben folgen dann beinahe zwangsläufig die “guten Werke” - Gott lieben, den Nächsten lieben, mich selbst lieben. Das ist die Rechtfertigungslehre, die Geißler als Häresie betrachtet.

Schuster - Geißler - bleib bei deinem Leisten ...

Was Heiner Geißler im Blick auf das Handeln bzw. Nichthandeln der großen Kirchen hinsichtlich von Politik und Wirtschaft sagt, kann ich zum größten Teil unterstreichen. Wenn er dann aber die christlichen Lehren von Sünde und Vergebung als eine Information über einen “Klumpen Sündendreck” diffamiert und von einer Ayatollah-Kirche spricht, die sich unangemessen ins Privatleben einmischt, dann weiß ich nicht, welche Kirche der Politiker vor Augen hat und welche Gottesdienste er besucht. Mit solchen Äußerungen diskreditiert Heiner Geißler sich selbst.