Freitag, 31. Mai 2019

Ecclesia evangelica, quo vadis? Fortsetzung 01

zuerst veröffentlicht im Sprachrohr 213 (Gemeindebrief) der Ev.-luth. Gustav-Adolf-Kirchengemeinde in Meppen 

Evangelische Kirche - wohin geht die Reise? So habe ich letztens gefragt (s. in diesem Blog weiter unten). Ein Mitglied unserer Kirchengemeinde hat auf meine Gedanken reagiert:

Lieber Herr Krüger,

ich habe das neue Sprachrohr mit Interesse gelesen. Insbesondere die kommentierte  Quellenzusammen- stellung  "ecclesia evangelica - quo vadis ?" gibt einen besonderen Impuls für die Gemeinde, aktuelle Fragen zur Kirchenentwicklung der Landeskirche aufzunehmen.

Was mit jedoch fehlt, sind die Erwartungen zur "Demographie und zu den Kirchenmitgliederzahlen" und den "Kirchenfinanzen". Sie sind ja auch Grundlage aller Reformpläne. Auch zur "Individualisierung und Pluralisierung von Religion im digitalen Zeitalter" sollten alle Reformpläne etwas sagen.  Vielleicht setzen Sie die "Betrachtung und Kommentierung" fort. ...

Viele Grüße, MV

Mitgliederentwicklung in der evangelischen Kirche

Die von MV gestellte Frage nach den Mitgliederzahlen will ich gern aufnehmen. Die kürzlich erschienene Studie zur Mitgliederentwicklung in der Evangelischen Kirche geht davon aus, dass bis 2035 die Zahl der Gemeindeglieder um 22 Prozent sinken wird, bis 2060 sogar um 49 Prozent. (https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-05/christentum-kirche-mitglieder-verlust-kirchenaustritt-taufe) Entsprechend werden sich auch die Kirchensteuereinnahmen verringern.

Darüber hinaus nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) an, dass es in den nächsten 10 bis 15 Jahren bei Pastorinnen und Pastoren einen Rückgang von bis zu 40 % geben wird (https://www.evangelisch.de/inhalte/142490/06-03-2017/evangelische-kirche-sucht-den-kommenden-jahren-tausende-pfarrer). Das bedeutet für die Hannoversche Landeskirche, dass von den derzeit ca. 1.750 Personen gut 1.000 verbleiben.

Rechnet man diese Zahlen einfach einmal eins zu eins auf Meppener Verhältnisse um, so bedeutet es, dass sich bis 2035 die Zahl der Lutheraner in beiden Kirchengemeinden von derzeit ca. 6.000 auf ca. 4.680 reduziert. Für deren Betreuung stehen dann rechnerisch noch 1,2 Pastoren zur Verfügung; so muss es nicht kommen, aber so kann es kommen. Allerdings wird durch das Ausscheiden der sogenannten “Babyboomer” aus dem aktiven Pfarrdienst die Zahl der Geistlichen tatsächlich massiv sinken. Den anstehenden Pensionierungen stehen deutlich weniger Neueinstellungen gegenüber.

Pastorenkirche oder Beteiligungskirche

In Landeskirchlichen Kreisen heißt es immer wieder, aus einer “Pastorenkirche” werde jetzt eine “Beteiligungskirche”. Offensichtlich können die Verantwortlichen der gegenwärtigen Entwicklung durchaus positive Züge abgewinnen. Um den zukünftigen Pfarrermangel aufzufangen, will die Landeskirche insbesondere die ehrenamtlichen Prädikantinnen und Prädikanten vermehrt in den Verkündigungsdienst einbinden. In einer gerade durchgeführten Umfrage (https://www.lektoren-praedikanten.de/Aktuelles) kann man lesen, dass der Dienst der ehrenamtlichen Prediger eine wachsende Bedeutung bekommen soll. Neben den Gottesdiensten sollen die Ehrenamtlichen auch Taufen, Hochzeiten, Aussegnungen und Beerdigungen leiten. In anderen Landeskirchen geschieht das schon.

Rolle des Pfarramtes

Damit stellt sich natürlich die Frage, welchen Platz die Geistlichen zukünftig in dieser Kirche einnahmen sollen. In der gerade verabschiedeten Verfassung kann man dazu in Artikel 25 lesen: “Das Pfarramt hat die Aufgabe, seine theologische Kompetenz in die Leitung der Kirchengemeinde einzubringen.” Im zweiten Absatz dieses Artikels und in den Erläuterungen ist von der “Verantwortung des Pfarramtes” für das Gemeindeleben die Rede; wörtlich heißt es: “Der Begriff der Verantwortung in Satz 2 berücksichtigt … einerseits, dass die genannten pfarramtlichen Tätigkeiten nicht nur von Pastorinnen und Pastoren, sondern auch von anderen Berufsgruppen (z. B. von Diakoninnen und Diakonen) und ehrenamtlich Mitarbeitenden (z. B. von Prädikantinnen und Prädikanten) wahrgenommen werden. Andererseits wird durch den Begriff der Verantwortung klargestellt, dass auch unter diesen Bedingungen eine theologische Gesamtverantwortung des Pfarramtes und damit der Pastorinnen und Pastoren für diese Tätigkeiten besteht.” (https://kirchenverfassung2020.de/2017/04/09/artikel-25/)

Für mich als “Pastor der alten Schule” beschreiben zugegebenermaßen die jetzt wohl überkommenen Vorstellungen den Beruf eines Seelsorgers angemessener. Danach sollten die Geistlichen “das Evangelium, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis unserer Ev.-luth. Kirche bezeugt ist, predigen, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß verwalten, das Beichtgeheimnis und die seelsorgerliche Verschwiegenheit wahren und sich in allen Dingen so verhalten, wie es ihrem Auftrage entspricht”. Ferner sollten sie “die Kinder begleiten, die Jugendlichen zur Konfirmation führen, den Paaren, die im Glauben Gottes Segen für den gemeinsamen Weg erbitten, diesen zusprechen und den Sterbenden mit dem Trost des Wortes Gottes zur Seite stehen”. (Anm.: Diese Formulierungen müssen aus dem Zusammenhang der Ordination kommen; aber trotz intensiven Suchens konnte ich die Quelle nicht ausfindig machen)

Wir reiten die Welle - Pfarrberuf 2030

Unter diesem Motto gingen am 17. und 18. Mai in der Akademie Loccum knapp 100 Interessierte aus der Hannoverschen Landeskirche der Frage nach, wie der Pfarrberuf zukünftig inhaltlich gefüllt sein sollte. Ein Blick auf die Teilnehmerliste zeigte, dass etwa 50 Personen aus dem direkten Gemeindedienst kamen, gut 30 ließen sich der landeskirchlichen Leitung bzw. deren Einrichtung zuordnen (Landeskirchenamt, Landessuperintendenten, Superintendenten, Haus kirchlicher Dienste). Die übrigen vertraten mehr oder weniger einzeln verschiedene kirchliche Arbeitsfelder.

Im vergangenen Jahr gab es im Michaeliskloster in Hildesheim eine erste Tagung zum Thema gegeben. Jetzt bei der Folgetagung standen 4 Themen im Mittelpunkt:

  • Pfarramt und Verwaltung 2030
  • Arbeiten in und mit multiprofessionellen Teams
  • Kirche im Sozialraum 2030
  • Kirche der Zukunft – oder: Wie kommen wir zu einer „fröhlichen Ekklesiologie“?

Multiprofessionelles Team

Ich ordnete mich der Gruppe “multiprofessionelles Team” zu. Bedingt durch den oben bereits genannten Pfarrermangel und den Mitgliederschwund geht man davon aus, dass sich zukünftig Kirchengemeinden zu größeren Einheiten zusammenschließen müssen. Das Geld, das nicht mehr für Pastorenstellen aufgewandt werden muss, soll für andere Berufszweige eingesetzt werden. Neben den klassischen kirchlichen Berufen, wo natürlich auch in den anderen Berufssparten die Menschen nicht “Schlange stehen”, um endlich in den Dienst der Landeskirche eintreten zu dürfen - Pastor, Organist, Diakon, Gemeindesekretär, Küster etc. -  daneben halten Gesprächsteilnehmer den Einsatz von Architekten und Baufachleuten oder Eventmanager für wünschenswert. Eine Kollegin konnte sich für Kirchengemeinden auch das Engagement im Bestattungsgeschäft vorstellen. So könne man ein Gesamtpaket einschließlich Kirchenkaffee im Beerdigungsfall anbieten. In der Arbeitsgruppe “Pfarramt und Verwaltung 2030” wären “professionellere Pfarrbüros mit attraktiven Stellen für Sekretär*innen” denkbar, “die dann nicht mehr nur für eine Gemeinde, sondern für eine ganze Region zuständig wären. Eine Person sollte sich ausschließlich dem „Kundenverkehr“ widmen, während die andere ungestört Büroarbeiten erledigen kann. … Denkbar wären auch hauptamtlich angestellte Geschäftsführer*innen oder zumindest Assistenzstellen, die sich beispielsweise um Personalplanung, Gebäudemanagement und das Umsetzen von Beschlüssen des Kirchenvorstands kümmern”. (https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/frontnews/2019/05/21)

Flaschenhals Kirchengemeinde

Auf die Frage, wo denn in diesem Konzept die Kirchengemeinden vorkämen, verglich die Gesprächsleiterin der Arbeitsgruppe “multiprofessionelles Team” diese mit einem Flaschenhals, durch den die jetzt geäußerten Vorstellungen und Ideen müssten. Wenn auf Seiten der eher traditionell eingestellten Kirchengemeinden mehr Entgegenkommen herrschte, wäre man mit den Reformen schon viel weiter.

Gemeinde lebt von den persönlichen Kontakten und Begegnungen.

Dieser Satz stammt aus der letzten Mail, die ich von MV bekam.

Lieber Herr Krüger,

… Zu Karfreitag war ich in der deutschen ev. Kirchengemeinde  an der Costa del Sol im Gottesdienst in Marbella.

In den Auslandsgemeinden wird mir immer wieder deutlich, die Gemeinde lebt von den persönlichen Kontakten und Begegnungen.

Wie können unsere Gemeinden fortentwickelt werden ?

Viele Grüße, MV

Ob die jetzt in der Landeskirche angedachten Reformen diesem vorgetragenen Anliegen Rechnung tragen? Genau diese Frage werde ich meinen Kollegen beim Pfarrvereinstag in Hannover Anfang Juni stellen und dann an dieser Stelle weiter berichten.

In Loccum wurde neben der allenthalben öffentlich zu erlebenden Euphorie in leisen Tischgesprächen auch die Sorge vorgetragen, dass die Kirchengemeinden in den angestrebten Organisationsformen auf der Strecke bleiben.