Montag, 11. März 2019

Ecclesia evangelica, quo vadis?

zuerst veröffentlicht im Sprachrohr 212 (Gemeindebrief) der Ev.-luth. Gustav-Adolf-Kirchengemeinde in Meppen 

Die beiden lateinischen Worte “quo vadis” heißen wörtlich übersetzt “Wohin gehst du?”

Neben dem wörtlichen Sinn wird die Redewendung aber auch in der Bedeutung “Wohin wird das führen?” oder “Wie soll das weitergehen?” gebraucht. 

Warum drängt sich mir diese Frage im Blick auf die Evangelische Kirche auf? Weil sich hier zur Zeit zwei Sichtweisen auftun, die sich offensichtlich widersprechen. Es geht ganz einfach darum: Wohin steuert unsere evangelische Kirche in Zukunft, was wird aus ihr, was wird aus uns? 

Neue Kirchenverfassung - hier sind die “besten Argumente eingeflossen”

In der Hannoverschen Landeskirche wird gerade der Entwurf einer neuen Kirchenverfassung diskutiert, die 2020 in Kraft treten soll. Synodenpräsident Matthias Kannengießer brachte dem 2. Verfassungsentwurf in die Synode ein. Dazu ist auf der Internetseite der Synode nachzulesen: »”Hier sind die besten Argumente aus der gesamten Landeskirche eingeflossen”, würdigte Kannengießer das Beteiligungsverfahren zur Erarbeitung neuen Verfassung und stellte fest: “Es ist unser aller Entwurf!” Erstmals sei es möglich gewesen, dass über 400 Stellungnahmen in die Beratung einer neuen Verfassung einfließen konnten. In dem jetzt vorliegenden zweite Entwurf seien alle zentralen Punkte aus dem Beteiligungsverfahren eingearbeitet worden. …« Weiter spricht Kannengießer davon, dass der vorliegende Verfassungsentwurf eine “Vielfalt in der Gestaltung kirchlichen Lebens” schaffe. »Dazu gehöre ein erweitertes Verständnis von Gemeinde als Ortsgemeinde und Personalgemeinde, wobei der Ortsgemeinde nach wie vor die Priorität zukomme.« https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/wir-ueber-uns/landessynode/tagung_25_11/berichte_25_11/entwurf_verfassung_as25c

“Stärkung des Kirchenkreises”

Als weiteren Schritt stellte Oberlandeskirchenrat Dr. Rainer Mainusch Überlegungen für eine neue Kirchenkreisordnung vor. Mainusch zog drei Grundlinien für die neue Kirchenkreisordnung: “Sie müssten die Diskussion der Verfassungsänderung nachvollziehen, die Kirchenkreise als kirchliche Handlungsebene stärken und Klarstellungen treffen.” Und dann ist der Satz zu lesen: »Die Stärkung des Kirchenkreises mit einer stärkeren Profilierung des Amtes der Superintendent*in setze eine Kultur des Vertrauens  voraus, so Mainusch weiter.« https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/wir-ueber-uns/landessynode/tagung_25_11/berichte_25_11/bericht-lka_kirchenkreisordnung

“Die örtlichen Gemeinden werden wichtiger Entscheidungsbefugnisse beraubt”

Dieser Sichtweise stehen kritische Stimmen entgegen. Prof. i.R. Dr. Gisela Kittel schrieb im Deutschen Pfarrblatt: “Wir befinden uns gegenwärtig in einem Umformungsprozess, wie es ihn in unserer evangelischen Kirche bisher nicht gegeben hat.” Sie nennt die Stichworte “Regionalisierung”, “Funktionalisierung”, “Zentralisierung”, “Ökonomisierung” und befindet dann: “Lauter Prozesse, die als Kehrseite die Marginalisierung und Entmündigung der Ortsgemeinden und ihrer Kirchenvorstände zur Folge haben. Denn die örtlichen Gemeinden werden in diesen Prozessen wichtiger Entscheidungsbefugnisse beraubt (Personalhoheit, Finanzhoheit), durch das neue Kirchliche Finanzsystem arm gerechnet (wenn sie z.B. wertvolle Immobilien besitzen) und – falls sie den angelegten Kriterien nicht standhalten – zum Aufgehen in Großverbänden wie Gesamt- oder Kirchenkreisgemeinden gedrängt, um nicht zu sagen: gezwungen.” (http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv.php?a=show&id=4490)

“Geringschätzung der Ortsgemeinde”

Ebenfalls kritisch äußert sich Prof. Dr. Dorothea Wendebourg in der aktuellen Ausgabe des Deutschen Pfarrerblatts. In ihrem Artikel “Gemeinschaft der Heiligen – zu Tode verwaltet?” schreibt sie: “Wie in einer Kirchenzeitung schon vor 25 Jahren vom Vorsitzenden des hannoverschen Pfarrervereins beklagt wurde und heute noch stärker zu beklagen wäre, ist seit geraumer Zeit ‘eine groteske Geringschätzung der Ortsgemeinde’ zu verzeichnen. Was sich stattdessen immer mehr verbreitet, ist vielmehr der Glaube an die effiziente Serviceeinheit der fusionierten Großgemeinde.” Und in Übereinstimmung mit einem hannoverschen Kritiker, den sie zitiert, hält Dorothea Wendebourg fest: “... mit der Geringschätzung der Ortsgemeinde [geht] eine ‘dramatische Abwertung des Gemeinde-Pfarramtes’ einher ...; überall werden Gemeindepfarrstellen gestrichen, die übergemeindlichen Pfarrstellen vermehrt - oft für Belange, die gar keines ordinierten Theologen bedürfen; es werden nichttheologische Stellen und immer neue Verwaltungsposten geschaffen - die neuen Großstrukturen sind kompliziert und bedürfen der Fachleute, die sie durchschauen”. (http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/index.php?a=show&id=4683)

Ortsgemeinde? Personalgemeinde?

Matthias Kannengießer hatte im Blick auf den Verfassungsentwurf erklärt, dass “die besten Argumente aus der gesamten Landeskirche eingeflossen” seien. Im Blick auf das, was zukünftig die Stellung von Orts- und Personalgemeinden regeln soll, ist diese Aussage nicht nachvollziehbar. Denn gerade dieser Punkt hatte in der angesprochenen Diskussion heftigste Widersprüche auf Seiten der Pfarrerschaft ausgelöst. Personalgemeinden in “Anbindung an eine diakonische oder andere Einrichtungen” (Studenten-, Schul-, Kranken-, Bundeswehrstandortgemeinde etc.) sind bekannt und werden auch nicht in Frage gestellt. Aber unklar bleibt, wie sich Personalgemeinden konstituieren, der sich die Mitglieder “insbesondere nach geistlichem Profil, nach besonderen lebensweltlichen Bezügen ...” zuordnen. Außerdem befürchtet die Pfarrerschaft eine vermehrte Bildung von Personalgemeinden und fragt sich, ob deren Finanzierung zu Lasten der Ortsgemeinden geht. Wird es dann „weiße Flecken“ auf der Karte der bisherigen Kirchengemeinden geben?”

Diese und andere Bedenken aber verhallten offensichtlich ungehört. Matthias Kannengießer erklärt zwar vor der Synode, dass der “Ortsgemeinde nach wie vor die Priorität zukomme”, aber warum findet dies keinen Niederschlag im offiziellen Verfassungstext? Dort heißt es, eine Kirchengemeinde könne “als Ortsgemeinde, aber auch als Personalgemeinde gebildet werden”. Warum bleibt nicht die eindeutige Formulierung der gültigen Verfassung? Also: “(1) Die Kirchengemeinde umfasst die in einem örtlich begrenzten Bezirk innerhalb der Landeskirche wohnenden, unter einem Pfarramt vereinigten Kirchenglieder (Ortsgemeinde). (2) Ausnahmsweise können Kirchengemeinden nach Personenkreisen bestimmt sein (Personalgemeinde).” (Artikel 23 der gültigen Verfassung) Dass Rainer Mainusch als nächsten Schritt eine Reform der Kirchenkreisordnung in den Blick nimmt und von der Stärkung der Kirchenkreisebene und des Superintendentenamtes spricht, leistet den Bedenken Vorschub.

“Um theologisches Terrain kämpfen”

Dorothea Wendebourg ermutigt, um theologisches Terrain zu kämpfen, weil sonst die “Substanz der evangelischen Kirche” verloren gehe. Da, wo durch Erosion, Diskreditierung, Geringschätzung und “die innerliche Verabschiedung von Pfarrern und Pfarrerinnen von den Kernaufgaben des eigenen Amtes” ein theologisches Vakuum entsteht, da rücke nach Aussage von Dorothea Wendebourg der “herrscherliche Diener, der Verwaltungsapparat der Kirchenämter” nach, denn, so schreibt die Professorin gleich zu Beginn des Artikels: “Verwaltungen haben immer und überall die problematische Tendenz, ein Eigenleben zu entwickeln.”

Ecclesica evangelica, 
quo vadis? 
Die Frage bleibt tatsächlich spannend!


Übrigens: Quo vadis?

Laut Wikipedia wurde diese Frage im Anklang an den Roman von Henryk Sienkiewicz “Quo Vadis” zum geflügelten Wort. Der Roman “geht auf eine Legende zurück, der zufolge Petrus während der Christenverfolgungen im Jahr 67 oder 68 n. Chr. aus Rom floh und vor der Stadt Christus begegnete. Petrus fragte ihn: ‘Domine, quo vadis?’ (‘Herr, wohin gehst du?’) Christus antwortete: ‘Venio Romam iterum crucifigi.’ (‘Ich komme nach Rom, um mich erneut kreuzigen zu lassen.’) Darauf sagte Petrus beschämt: ‘Herr, ich werde zurückkehren und dir folgen.’ ...” (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/Q#Quo_vadis?)

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